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Thema: Die allmächtige Waffenkammer Fr 6 Nov - 20:48:43
Kapitel 1: Ein frischer Wind fegte durch Bens Haare, als er in einem Jägerlager nördlich von Shezel jeden Moment zu einer echten Jagd aufbrechen sollte und letzte Instruktionen von seinem Vater auf den Weg gelegt bekam. „Wenn die Zunge ganz bleiben soll, musst du den Kopf vollständig abtrennen. Merk dir das!“ „Vater, das hast du mir schon hundertmal gesagt. Ich werde ganz vorzügliche Zungen ablie-fern, versprochen.“ Elio, Bens Vater, sah seinen Sohn voll Stolz an. Es würde seine erste offizielle Jagd werden. Für die Gilde nur eine kleine Aufgabe – es ging um Pepezungen – aber für Ben sein Eintritt ins Jägerleben. Elio hatte auch einmal so angefangen. „Ich weiß, dass du es schaffst, mein Sohn!“ Er lächelte. „Wann denkst du, bist du zurück?“ Ben war ein Neuling, ein echter Anfänger. Seine erste Alleinjagd begann. Von daher war er verwundert, dass sein Vater ihm eine solche Frage stellte. „Ähh...“, sagte er langsam. „Ach, das lernst du noch“, lachte Elio. „Mit dem Wagen bist du, ich schätze mal, morgen am Rand des Schneegebirges. Je nachdem, ob sich die Pepes im Grünen, oder im Schnee aufhal-ten wirst du für die Jagd einen halben, oder ganzen Tag brauchen. Die Rückfahrt kriegst du dann auch noch rum!“ Er grinste. „Du bist in drei Tagen zurück, wenn nicht, komm ich dich holen!“, fügte er scherzhaft hinzu. Ben rang sich ein Lachen ab, tatsächlich war er nervös. „Vater, ich weiß, es sind nur Pepes, aber...“ Er machte eine Pause. „Aber gibt es im Gebirge nicht auch Blangongas und Ähnli-ches?“ „Quatsch!“ Elio winkte mit einer Handbewegung ab. „Es wurde vorgestern ein Rajang erlegt. Das sind Einzelgänger. Und der Rajang verspeist so einen Blangonga zum Frühstück, keine Sorge. Das ganze Gebirge ist absolut sauber. Wobei...“ Er stockte plötzlich. Bens Augenbrauen schossen in die Höhe. „Was?“, fragte er erstaunt. „Ich will dir keine Angst einjagen, mein Sohn!“, sagte er hastig. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „Pass auf, ich will es dir in wenigen Worten erklären. Drachenälteste sind praktisch unauffindbar. Sie kommen und gehen wohin auch immer sie wollen. Verjagt oder getötet werden sie nur, wenn sie irgendwo sicher gesichtet werden und dann eine Jägertruppe in dem Gebiet nach ihnen sucht. Es gab nun schon seit Ewigkeiten keine Quest für eine Drachenjagd im Schneegebirge mehr. Es könnte sein, allerdings sehr unwahrscheinlich. ,,Ach, weißt du was? Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Er verstummte. Ben sah ihn schräg an. „Was könnte sein. Ich mach mir übrigens Sorgen, du hast mich neugie-rig gemacht.“ Der Vater runzelte die Stirn. „Es tut mir Leid, ich hätte nie davon anfangen sollen. Geh ein-fach auf die Jagd und tue so, als hätte ich dir niemals irgendwelchen Kauderwelsch über Dra-chenälteste erzählt!“ „Hör auf damit!“ Ben packte seinen Vater am Arm. „Dad, was könnte passieren?“ Elio und Ben sahen sich einen kurzen Moment schweigend an, dann schlug der Vater die Au-gen nieder. „Also gut“, gab er auf. „Na schön. Du willst dir Angst einjagen lassen? Dann jage ich dir Angst ein. Ich habe ein ganz subjektives Gefühl, und du musst verstehen, dass ich keinerlei Beweise dafür habe, es ist nur eine Intuition, dass im Schneegebirge doch etwas Gefährliches lebt, vor dem du dich in Acht nehmen musst. Ich befürchte, es gibt einen Drachen im Gebir-ge.“ Ben wusste damit nichts anzufangen. Er hatte zwar viel über Drachen gelesen, aber nie hätte er sich vorgestellt einen in natura zu sehen. „Was für einen Drachen? Und wie nehme ich mich in Acht?“ Plötzlich hatte der Vater wieder sein Lächeln aufgesetzt. „Da kann ich beide Fragen in einem Wort beantworten: Unwetter! Davon musst du dich in Acht nehmen. Bei schlechtem Wetter, warte einfach einen Tag und geh dann Pepes jagen.“ „Das Sturmunwetter im Schneegebirge? Das hätte man doch aber schon bemerkt!“ „Die Berge sind groß, mein Sohn. Verliere niemals den Respekt vor ihnen. Die Monster sind schlimm, die Berge sind es aber auch. Du bist nun ein Jäger, Ben. Du kämpfst höchstens so gut, wie du deinen Sinn für deine Umgebung geschärft hast!“ „Ich weiß...“ Den Spruch hatte er auch schon mehrfach gehört. Er war dieser Jägerweisheiten langsam satt. Doch sein Vater unterbrach seinen Protest sofort. „All diese Sprüche stimmen zu einhundert Prozent. Und das wirst du im Jägerleben schon noch selbst erfahren, vertrau mir. Ich war ge-nau wie du.“ Wieder musste er lächeln. Er dachte an sich selbst zurück, wie er zum ersten Mal alleine aufbrach. Wie er endlich die Theorie in die Praxis umsetzen konnte. Er seufzte. Ben sah, was in seinem Vater vorging und sagte schnell: „Ich mach mich dann mal besser davon!“ Er bestieg den Wagen und nahm die Zügel in die Hand. „Mach's gut, Dad!“ Dann marschierten seine Pferde los. Elio winkte ihm nach, bestieg dann selbst sein einzelnes Pferd und ritt zurück nach Shezel. Die Stadt lag nordöstlich der Wüste und war gezeichnet durch ein freundlich warmes Klima, mit üppiger Vegetation. Das lag daran, dass das Wüstengebiet relativ abrupt endete und in das Wald- und Hügelgebiet überging. In der Übergangszone lag Shezel. Man benötigte nur einen Tag, um zum Sumpf zu gelangen. Länger dauerte es zum Dschungel. Die Quests, die den uralten Turm betrafen, über drei Tagesreisen entfernt, überließ man besser Jägern aus anderen Dörfern. Probleme hatte Shezel nur ab und zu mit zwar weit entfernt gelegenen Vulkan, dessen Aschewolken der Landwirtschaft bedingt durch Stürme aber trotzdem zusetzten. Das Schneegebirge lag ebenfalls nur einen Tag entfernt. Nichtsdestoweniger war Bens Quest sehr gut bezahlt und für ein Gebiet, in dem man seine erste Quest erledigte, war das Schnee-gebirge sicherlich ein Glücksfall. Ben wusste das, und er freute sich darauf, die Berge zu entdecken und Pepezungen aus den großen, haarigen, mit Stoßzähnen versehenen Pflanzenfressern zu schneiden, nachdem er sie erlegt hatte. Eine eindrucksvolle Ausrüstung hatte er dafür zwar nicht – er besaß einen einfachen Pelzman-tel, Schneestiefel mit Spikes und ein altes, aber wenigstens geschärftes Messer – aber sie musste ausreichen. Die Fahrt verlief eher langweilig. Es wurde schon früh dunkel, aber eine Fackel beleuchtete ihm den Weg, sodass er noch etwas in die Nacht hineinfahren konnte, bis er schließlich zu müde wurde. Er suchte sich ein Stück freies Feld und band die Pferde an einem Baum an, etwas Besseres gab es im Moment leider nicht. Er stellte die zwei mitgebrachten Eimer Wasser zu ihnen, so-dass sie sich in der Nacht erholen konnten. Für Ben selbst, verwandelte er den Wagen mit einigen wenigen Handgriffen in ein geräumiges Zelt auf Rädern, indem es sich ganz gut schlief.
Ben wurde durch das durch die Plane scheinende Licht geweckt, das ihn am frühen Morgen aus dem Schlaf zerrte. Einige Minuten blieb er noch liegen, dann baute er das Zelt ab und verstaute die Plane platzsparend. Die Pferde hatten sich über Nacht nicht losgerissen. Halb leer waren die Eimer noch, aber selbst wenn sie leer gewesen wären, die Umgebung war so wasserreich, es wäre kein Problem gewesen. Er spannte die Tiere wieder vor den Wagen und setzte seinen Weg fort. Am frühen Nachmittag tauchte der erste Berg am Horizont auf. In der klaren Luft des Winters konnte man selbst den Gipfel erkennen. Keine Spur von einem Unwetter. Der klare, blaue Himmel war nur vereinzelt mit Schönwetterwolken geschmückt und vermit-telte den Eindruck idyllischen Friedens. Nichts veränderte sich daran, stundenlang. Das Gelände begann schon felsig zu werden, die Straße führte Hügel auf und ab, teilweise verschwand das Gras unter Schneeflecken. Ben folgte der Straße bis auf fünfhundert Meter Höhe; das sagte ihm ein gravierter Stein am Wegrand. Laut der Beschreibung seines Vaters musste er sich die nächste freie Fläche suchen und dort sein Lager aufschlagen. Er steuerte den Wagen querfeldein von der Straße weg und fuhr noch gut eine Stunde am Hang entlang. Das erwies sich als extrem anstrengend für die Pferde, deswegen machte Ben bei der nächstbesten Gelegenheit Halt. Er funktionierte seinen Wagen wieder zu einem Zelt um, band die Pferde an und gab ihnen Wasser. Dann musste er sich fertig machen für die Jagd. Alles systematisch abgehen, wie gelernt. Als erstes den Grundbedarf, der da wäre: Rationen, Sättigungsmittel mit den wichtigsten Nährstoffen um sich vorübergehend zu stärken, Heißge-tränke, in Thermosflaschen aufbewahrt, sodass sie ihre wärmende Wirkung in der eisigen Umgebung des Gebirges nicht verfehlen oder verlieren würden, und schließlich Wetzsteine, um die Waffe zu schärfen, falls er mal auf hart gepanzerte Gegner treffen würde, was er heute für unwahrscheinlich hielt. Die Heißgetränke und Rationen konnte man in handlichen, kugelförmigen Flaschen, bzw. Boxen aufbewahren. Diese ließen sich einfach an einem Gürtel befestigen, sodass man sie jederzeit griffbereit hatte. Verbandszeug und Desinfektionsmittel bewahrte er in den verschließbaren Innentaschen sei-nes Pelzmantels auf. Die Wetzsteine konnte er auch noch am Gürtel in speziell dafür vorge-sehene Taschen anbringen. Perfekt, dachte Ben. Dann bin ich wohl ausgerüstet. Auf geht’s. Er schnallte sein Kurzschwert an eine Halterung auf seinem Rücken, schlüpfte mit dem linken Arm in seinen Schild und lief in zügigem Tempo los. Da der Hang immer noch etwas schräg abfallend war, wurde sein rechter Fuß stark belastet. Ben konnte so ein lästiges Gefühl während der Jagd nicht gebrauchen, daher atmete er eben etwas tiefer durch, verlangsamte sein Tempo und erklomm den Hang bergauf. Nach einigen Minuten hielt er kurz an, um zu verschnaufen; dabei drehte er sich um und wur-de von einem überwältigenden Panorama erfasst, welches einen atemberaubenden Blick in das Tal bot. Sein Hang ging nur fünfhundert Meter nach unten, aber ein Berg seitlich gegenüber von ihm knackte locker die Zweitausendmetergrenze. Seine schroffe Felswand brüllte steil in die Tiefe und entblößte Formationen, die ein Geologenherz höher schlagen ließen, oder einfach nur einen wahnsinnigen Ausblick boten. Es war kein Hang in dem Sinne, sondern einfach nur eine senkrechte Mauer, deren untere Teile krasse Gegensätze zwischen Grau- und Brauntönen aufzeigten, und deren obere Hälfte in feinstem weiß erstrahlte. „Wow...“, machte Ben, als er den Berg anstarrte. Es sah einfach so gewaltig aus. Dabei war das nur ein relativ kleiner Berg. In der Mitte des Schneegebirges gab es auch Riesen von über fünfeinhalb tausend Metern, jedoch existierte ab viertausend kein größeres Leben mehr, höchstens noch irgendwelche Fe-lynenstämme, die sich von der Zivilisation abgeschottet hatten. Ben drehte sich wieder um und sah den Hang entlang nach oben. Weit konnte es nicht sein, ehe er die Schneegrenze überschritt. Er lief weiter. Die Bäume wurden schon etwas karger und standen nur noch vereinzelt hier und da. Schnee säumte ihre Wipfel und lag versprüht am Boden. Nach einer Viertelstunde Laufzeit war Ben umgeben von blendendem weißem Schnee. Er stapfte voran und erreichte ein Plateau, eine flache Ebene. Hier stand kein einziger Baum mehr. Das Plateau war eis- und schneeüberzogen, eben und wohl der höchste Punkt, den man durch bequemes Laufen erreichen konnte. Ab jetzt wurde es etwas anstrengend. Zum Westen hin fiel der Hang hinab, den Ben erklommen hatte, nördlich des Plateaus war eine Schlucht, unüberwindbar. Im Süden und im Osten, also rechts und gegenüber von Ben, erhob sich eine von so vielen Felsmauern senkrecht in die Höhe. Doch es gab einen kleinen Eingang zu einer Höhle. In Höhlen, das hatte Ben eingeschärft bekommen, ist es eiskalt, vermutlich kälter, als jeder andere Ort im Schneegebirge, mit Ausnahme vielleicht der Gipfel. Ben war nicht dumm, daher nahm er ein Heißgetränk. Er löste die kugelartige Flasche von seinem Gürtel, schraubte den Sicherheitsverschluss ab, und nahm einen großen Schluck von der warmen Flüssigkeit. Eine unglaublich entspannende Wärme breitete sich in seinem Körper aus, kroch bis in die Fingerspitzen und erzeugte ein sanftes Kribbeln in den Füßen. Ben verschloss die Flasche und verstaute sie wieder am Gürtel. Dann betrat er mutig die Höhle. Kaum war er eine halben Meter eingedrungen, klirrte ein scharfer Wind über sein Gesicht. Ben wusste, dass er ohne das Heißgetränk mit Sicherheit jetzt eine eingefrorene Nase bekommen hätte, aber nun ließ ihn so etwas kalt. () (Wie kam der Wind in den Höhlen eigentlich zustande? Eigentlich war es ganz simpel: Einige der Berge hatten einen offenen Gipfel. Wie ein Schlauch zog sich ein Krater von den hochgelegenen Bergspitzen, bis hin zum Mittelpunkt ihres Grundrisses am Boden. Diese Krater hatten Wyvern genutzt, um geschützte Nester zu bauen, und sie begannen Ge-stein innerhalb eines Berges abzutragen. Damit beschädigten sie aber teilweise die Statik der Felsformationen, und es stürzten viele Wände ein, sodass nach und nach Höhlen entstanden. Diese waren also mit dem Krater in der Mitte verbunden. Am Boden des Berges war es viel wärmer als, am Gipfel, deshalb wälzte sich die Luft ständig um, kühlte beim Aufsteigen ab, und wärmte sich beim Abfallen auf. Die eiskalte Luft wurde dazu noch teilweise in die Höhlen umgeleitet, sodass diese keinen geschützten Bereich, sondern eher eine Todesfalle für verirrte Reisende darstellten, die Schutz suchten.) Diese Höhle war nicht besonders lang. Es spiegelte sich sogar Licht im Eis an den Wänden. Vermutlich war irgendwo in der Nähe wieder ein Ausgang. Ben hatte Recht, nach wenigen Minuten fand er sich im Tageslicht wieder. Und er traute sei-nen Augen kaum. Er stand wieder auf einer Art Plateau und erblickte zehn Meter über ihm, auf einer weitläufi-gen Ebene, eine Herde Pepes. Wie friedlich sie dort im Schnee nach Gebirgskräutern wühlten. Wie sie mit ihren großen Nasen und den Stoßzähnen Schnee wegschaufelten und nicht im Entferntesten daran dachten, dass Ben ihre Zungen der Gilde für teures Geld verkaufen wür-de. Wie gelangte er jetzt da hoch? Eine Schlucht trennte ihn von seiner Beute, er konnte unmöglich hinunter und an der anderen Seite wieder hinauf klettern. Vielleicht hätte er einfach einen anderen Berg erklimmen sollen. Oder möglicherweise gab es auf seinem Berg auch Pepes? Nein, ausgeschlossen. Pepes waren Herdentiere, die Ihresgleichen suchten und zusammenleb-ten. Wenn hier über ihm Pepes im Schnee nach Gräsern suchten, dann gab es in großem Um-kreis mit Sicherheit keine mehr von ihnen. Er musste als zu ihnen gelangen. Er sah sich die Ebene noch einmal an. Ein Abhang führte sehr sanft nach Süden. Vielleicht konnte Ben irgendwie von der Seite kommen? Nein, zu gefährlich. Er konnte sein Plateau nicht verlassen; die Wände sahen nicht stabil aus, und Ben könnte sich bei einem Sturz sämtliche Knochen brechen. Aber es gab tatsächlich eine Möglichkeit! Die Schlucht war zwar tief, aber höchstens dreißig Meter, wenn nicht weniger. Warum also sollte in der Höhle nicht ein Seitengang sein, der die beiden Berge miteinander verband? Ben ging zurück und sucht die Wände der Höhle ab. Nichts außer Eis. Er ging tiefer hinein, war nun schon fast am anderen Ausgang, und da entdeckte er es. Ein schwarzes Loch, kein bisschen belichtet. Aber Ben hatte es im Gefühl, er wusste einfach: Hier musste er durch. Er ließ sich auf die Knie fallen und tastete sich vorwärts. Parallel dazu betete er, dass die Höh-le nicht bewohnt war, doch er brauchte sich keine Sorgen zu machen, er blieb unbehelligt. Über eine halbe Stunde benötigte Ben, um die Höhle abwärts zu folgen, und noch länger, um den vereisten Weg bergauf zu beschreiten, bei dem es schwierig gewesen war, sicheren Halt zu finden, aber irgendwie ging es dann doch. Nun sah er schon wieder Licht am Ende des Tunnels. Doch Ben bemerkte nicht die Verände-rung im Licht, wie sich das strahlende Weiß des Schnees, der den Eingang verdeckte, in ein schmutziges Grau gewandelt hatte. Und selbst wenn er es bemerkt hätte, so hätte er es viel-leicht nicht zu deuten gewusst.
Das Wetter erlag einer urplötzlichen Veränderung…
Ben kämpfte sich zum Ausgang und durchbrach die Schneedecke, die Höhlenöffnung ver-schloss. Es schneite. Der Himmel war weißgrau-bewölkt und schenkte den Bergen sein kaltes Gut. Trotzdem war die Sicht kaum eingeschränkt und Ben brauchte den Kopf nur nach links zu drehen und er erspähte die Pepes. Mit einem Sprung stand er auf beiden Beinen und begann zu rennen. Denn offenbar war er schon bemerkt worden; warum sonst setzte sich die Herde panisch in Bewegung? Der Schneefall wurde dichter, Ben sah nun nicht einmal mehr die ganze Herde, nur noch den Teil, der ihm zugewandt war. Und der rannte wie wild. Ben beschleunigte sein Tempo. Hier erwies es sich als vorteilhaft, eine nicht ganz so schwere Rüstung zu tragen, wie erfahrene Jäger. Obwohl echte Profis auch mit schwerster Panzerung Haken schlagen konnten und sich behände abrollten. Ben kam dem Pepeverbund näher, wenn auch nur allmählich. Seine Beine vollführten die Rennbewegung fast automatisch, doch seine Ausdauer war nicht unerschöpflich. Doch wenn er tiefer einatmete, füllten sich seine Lungen nur mit der klirrenden Kälte der Berge. Verdammt, das könnte die einzige Pepeherde weit und breit sein. Ben durfte sie nicht gleich verlieren. Einmal noch sprinten!, sagte er sich und strengte sich noch einmal richtig an. Da bekam er plötzlich das Gefühl zu fliegen. Tatsächlich verlor er den Boden unter den Füßen mitsamt seinem Gleichgewicht. Er fiel vornüber, doch sein Gesicht berührte nie den Schnee. Stattdessen stieg er immer höher in die Luft – durch den Schreck entglitt ihm sein Schwert – pirouettierte, überschlug sich… Alles ungewollt. Ben wurde schlecht. Was geschah hier? Wieso flog er durch die Luft im wörtlichen Sinne. Und diese Kälte war auch nicht normal. Er hatte ein Heißgetränk genommen, doch die Wir-kung schien verflogen, und es war unmöglich in diesem unkontrollierten Flug ein Weiteres zu nehmen. In wilder, schneller Folge sah er den Boden, dann den Himmel, wieder den Boden und so fort. Er erbrach sich in die Luft, verteilte seinen Mageninhalt während eines Saltos unglücklich teilweise über sich selbst. Durch den dichten Schneefall sah er kaum etwas. Einzelne Konturen schon gar nicht. Er konnte nicht sagen wie hoch er war, wie lange er schon flog – es kam ihm sehr lange vor, doch es konnten nicht mehr als ein paar Sekunden gewesen sein. Und wie schlecht ihm war, als alles abrupt endete, wusste er auch nicht auszudrücken. Der Tiefschnee federte den Aufprall ab, sodass er wenigstens kaum Schmerzen empfand, doch das Gefühl sich weiterzudrehen und weiterzufliegen, obwohl man still am Boden lag veranlasste ihn ein weiteres Mal zum Würgen und sich Übergeben. Sein Bein zuckte unwillkürlich, als wolle es den Flug stabilisieren, doch seine Augen sahen den halbwegs festen Untergrund, auf dem er sich befand. Was war los mit seinem Körper. Dachte der, er fliege noch? Ben versuchte sich aufzusetzen, doch er wurde von Schwindelgefühlen ergriffen, die soweit gingen, dass er sich nicht mehr gerade zurücklegen konnte, sondern zur Seite warf. Der junge Jäger hörte ein Schreien. Es verkündete die Kälte höchstpersönlich, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren und jagte ihm Schauer über den Rücken, ohne das er den Urheber kannte. Das Schreien kam jedoch nicht allein, es schien einen weiteren Windstoß entsandt zu haben, der Ben packte und ihn wieder in die Luft hob. Er verlor das Bewusstsein, in dieser Situation ein Segen.
Der Kushala Daora hatte Ben schon geschnuppert, seit dieser mit seinem Wagen den Rand des Gebirges betrat. Da hatte er ihn noch für uninteressant gehalten und sich nicht weiter um den Jäger gekümmert. Er wollte lieber Pepes jagen; seit Wochen hatte Daora nichts mehr erjagt. Als der Jäger auf seine Beute losging war er nur noch Konkurrenz und musste unschädlich gemacht werden – mit Erfolg, wie der Drache zufrieden feststellte. Zwei gut gezielte Windattacken und der Jäger rührte sich nicht mehr, schon gar nicht, da er nach der zweiten auf einem lockeren Felsbrett gelandet, und einen steilen Hang hinab gesurft war. Möglicherweise hatte er nicht mal überlebt, aber das wusste Daora nicht mit Sicherheit. Egal, nun waren die Pepes sein!
erstes Kapitel fertig *puuuh* die wird laaang nicht aufgeben! und keine Sorge es kommen auch Kämpfe Kapitel 2 Ben hörte das Wiehern eines Pferdes, auf dem sein Vater saß und verkündete: „Im Schneegebirge lauert der Tod!“ Dann stieg dieser ab und verwandelte sich in eine weiße Wolke, die Ben rammte und in die Luft katapultierte. Er stieg immer höher, ohne langsamer zu werden, bis aus dem blauen Himmel eine schwarze Wol-kenwand wurde, die plötzlich aussah, wie eine Höhlendecke. Mit dem Gesicht voran flog er ihr entgegen und kurz vor dem Aufprall fuhr Ben aus dem Schlaf. Kerzengerade saß er in einem fremden Bett, atmete schwer und wischte sich den Schweiß von seinen Wangen. Vor seinem inneren Auge ließ Ben die Geschehnisse im Zeitraffer Revue passieren. Innerlich stöhnte er, wenn er sich ausmalte, wie es für einen Außenstehenden hatte aussehen müssen: Ein Körper, der wild durch die Luft flog und im Tiefschnee aufkam, einige Sekunden später wieder emporstieg und… Weiter wusste er nicht. Vermutlich war er ohnmächtig geworden, oder hatte sein Bewusstsein verloren. Ob das Sturmunwetter daran schuld war? Wie war noch gleich der richtige Name für den Drachen? Er fiel Ben nicht ein. Erst einmal zurückstellen, dachte er sich. Denk lieber darüber nach, wo du bist und wie du deine Jagd beendest. Da erinnerte er sich plötzlich daran, dass er sein Schwert verloren hatte. Übrig war nur sein Schild. Er blickte an seinem linken Arm hinab. Nichts. Haut und Muskeln. Kein Schild. Nicht einmal sein Pelzmantel? Jetzt fiel es ihm auf: Er hatte rein gar nichts an! Unter der Bettdecke war er komplett nackt. Wieder stellte sich ihm die Frage: Wo war er? Er sich im Zimmer um. Eindeutig das eines Jägers, stellte er nach wenigen Augenblicken fest. Rechts von ihm hingen an der Wand zwei tödlich aussehende Sensen, eine strahlend weiß und eine tief-schwarz. Zwischen den beiden befand sich noch ein Haken an der Wand, an der normalerweise wohl noch eine weitere Waffe Platz hatte. In gleichmäßigem Abstand aufgehängt, ließen sie gerade genug Platz für eine Tür, die das Zimmer mit dem Rest des Hauses verband. Gegenüber von ihm stand ein großer Holzschrank, in dem Ben funkelnde und starke Rüstungen vermutete. Links von ihm wurde der Raum durch ein großes Fenster erhellt. Eine weitere Tür führte auf der Seite zu einem großflächigen Balkon. Doch Ben drehte den Kopf wieder nach rechts, um die tollen Sensen zu bewundern, da stieg ihm der wohltuende Geruch süßen Teigs in die Nase. Auf einem Nachttisch neben ihm stand ein Teller mit heißem Gebäck und einer Tasse dampfenden Etwas. Was auch immer es war, es schmeckte ausgezeichnet und wärmte den Körper bis in jede Fußzehe. Er bemerkte gar nicht, wie er alles gerade zu hinunterschlang. Wie lange hatte er nichts mehr gegessen? Und wie lange, wenn man die Jägerrationen nicht als Mahlzeit wertete? Ben wollte gar nicht darüber nachdenken. Jetzt wollte er unbedingt den Jäger kennenlernen, der ihn gerettet hatte und der hier wohnte. Er konnte ihm sicher auch sagen, wo er sich denn nun befand. Und vor allem seine Anziehsachen zu-rückgeben. Wie auf Befehl bewegte sich die Türklinke der rechten Tür knarzend nach unten. Und endlich kam der tapfere Jäger, sein Retter und sein Obdachgeber, ins Zimmer: Ein traumhaftes und wahnsinnig gutaussehendes Mädchen, in der knappsten Jägerrüstung, die Ben jemals gesehen hatte. Ihre natürlich anmutigen Bewegungen erlitten einen Stilbruch bedingt durch die martialisch aussehende Waffe – eine blutrote Sense –, die an ihrem Rücken festgeschnallt war. Ein schlichtes „Hi“, zusammen mit einem Lächeln, das die Sonne aufgehen ließ, dann drehte sie sich zur Wand, schnallte ihre Waffe ab und hing sie zu den anderen zwei. Etwas zeitverzögert antwortete Ben ebenfalls mit einem „Hi…“ Nachdem sie ihre Waffe an der Wand festgemacht hatte, wandte sie sich dem Tablett auf dem Nachttisch und musterte die übrig geblieben Krümel und die leere Tasse. Dann kniete sie sich ans Bett und ihr Blick suchte den seinen. „Wie geht’s dir?“ Bens Augen fixierten hastig die ihren, nachdem sie zuvor etwas anderes begutachtet hatten, ohne das Ben wirkliche Kontrolle darüber hatte. „Mittlerweile eigentlich ganz gut. War lecker übrigens“, sagte er mit einem Kopfrucken in Richtung Krümel. Sie lächelte wieder so sonnenscheinend. „Danke. Ich hab mir Mühe gegeben.“ Ihr wohlgeformtes, weiches Gesicht wurde etwas ernst. „Was genau ist eigentlich mit dir passiert?“ Ben lehnte sich zurück. „Ich wurde angegriffen, denk ich mal. Wie heißt das Sturmunwetter noch richtig?“ „Kushala Daora. Bist du sicher, dass du davon angegriffen wurdest?“ „Sicher bin ich mir nicht. Hast du mich eigentlich gerettet?“ Sie zögerte mit einem leichten Grinsen. „Gerettet? Nein, ich hab dich nur bewusstlos im Schnee gefunden. Dein Puls war noch deutlich zu spüren und ich kann ja niemanden im Schneesturm–“ „Schneesturm, genau!“, fuhr ihr Ben dazwischen. „Das wäre typisch für den Daora!“ „Wie wurdest du denn angegriffen?“ Ab hier zweifelte Ben daran, dass sie ihm glauben würde. „Er hat mich durch die Luft gepustet. Ich muss weit geflogen sein.“ Entgegen allen Erwartens nickte sie nur wieder ruhig. Ben sah sie fragend an. „Glaubst du denn, dass es einen Kushala im Schneegeb–“ „Furahiya“, unterbrach sie ihn. „Gesundheit. Jedenfalls, glaubst du, dass–“ „Nein, es heißt Furahiyagebirge. Das ist der korrekte Name.“ Sie lachte. Und was für ein Lachen! Ben sog die einzelnen Schallwellen auf, wie ein Schwamm das Wasser. Alles an ihr war bezaubernd. „Okay…“, sagte er lahm. „Und ja, ich könnte mir vorstellen, dass der Kushala Daora ins Furahiyagebirge zurückgekehrt ist.“ Damit erhob sie sich und ging zum Schrank. Zu allem Überfluss begann sie sich umzuziehen, ganz schamlos und völlig natürlich öffnete sie die Lederschlaufen ihres Brustpanzers und hängte ihn in den Schrank. Die robuste Jägerunterwäsche entfernte sie ebenfalls vom Körper. „Ähm…“ machte Ben. Und es passierte, was er dringendst vermeiden wollte und sich zugleich gewünscht hatte: Sie drehte sich um, die Arme im Haar, um Spangen zu lösen, die ihre Mähne unter ihrem Helm gehalten hatte, einen ganz unschuldig fragenden Blick aufgesetzt und der Rest ihres Körpers, als wäre es das Natürlichste der Welt, völlig entspannt aber eben auch vollständig entblößt. Ben schluckte. „Wo sind eigentlich meine Sachen?“, krächzte er. Und sie, die gute Laune in Person: „Ach, die sind noch unten. Du musst nur die Treppe runtergehen. Ist übrigens alles wieder sauber.“ Na toll, dachte Ben, als sich eines seiner Körperteile, auf das er keinerlei Einfluss hatte, regte, damit sollst du also seelenruhig aus dem Bett steigen und dir deine Sachen von unten holen. Einfach ihr den Rücken zudrehen. Und möglichst, wenn sie nicht hinsieht! Oder sollte er eine Ausrede erfinden, warum er noch liegen bleiben musste? Der Gedanke gefiel ihm. Schnell, die Gesprächspause war schon zu lang, sag was! „Ich äh…“, stotterte Ben. „Ich glaube, ich kann noch nicht wirklich aufstehen…“ Wie bescheuert. Etwas Besseres ist dir nicht eingefallen?! Doch das Mädchen lachte wieder nur ihr unglaubliches Lachen. „Das glaub ich dir nicht! Du bist nur zu faul. Ich hatte keine einzige Wunde an dir gesehen!“ Na, das lief ja immer besser… „Doch! Sicher, ganz ehrlich!“, erwiderte Ben. Und um die Aussage zu unterstreichen rieb er sich den Rücken. Dann merkte er, wie peinlich die Situation war und setzte schnell noch ein mattes Lächeln hinterher. „Also gut, dieses eine Mal helfe ich dir noch. Aber ich hab was gut!“, sagte sie in gespielt ernstem Tonfall. Dann verschwand sie aus dem Zimmer. Bens einziger Gedanke, bis sie wieder zurückkam war: Nichts. Sie war gleich wieder im Zimmer und warf Torso und Beinkleid aufs Bett. „Anziehen musst du dich selbst!“ Dann widmete sie sich wieder ihrem Schrank. Vorsichtig stieg Ben aus dem Bett. Dabei hielt er die Decke an einer Ecke fest, um sich wenigstens Privatsphäre für gewisse Teile seines Körpers gönnen. Wie idiotisch, er war schließlich nicht in das Zimmer hier gezaubert worden. Leider streifte die Decke den Nachttisch, auf dem noch der Teller und die Tasse standen. Diese wurden gefährlich nahe an den Rand gerückt. Vorsicht!, ermahnte sich Ben. Er schob die Tasse etwas zurück, legte den Teller auf den Boden und bewegte sich weiter. Ein Fuß suchte freien Platz auf dem Parkett, der andere Gleichgewicht auf dem Bett. Ben wippte ständig hin und her, um nicht umzufallen und hopste er mit dem Fuß auf dem Holzboden hin und her. Dadurch verursachte er äußerst merkwürdige Geräusche, bedachte man, er wolle sich eigentlich nur umziehen… Und die Jägerin drehte sich im unglücklichsten aller Momente um: Bens Fuß landete auf dem Teller, welcher sofort wegrutschte und jeglichen Sinn für Gleichgewicht unterdrückte. Er kippte nach vorne, umklammerte aber immer noch den Zipfel der Bettdecke, wodurch die komplette Decke gnadenlos auch die Tasse vom Nachttisch warf, welche lautstark zerschellte. Binnen Sekunden lag Ben auf dem Rücken auf der Decke, direkt neben dem Bett zwischen Krümeln und Scherben. Seine Kleidung noch immer nutzlos auf der Matratze… Die Jägerin schaute ihn schief an, hin und hergerissen zwischen Belustigung und Missbilligung. War der junge Jäger nun ein Clown oder ein Trottel? Beides war peinlich. „Ich, ähm, geb dir hier mal Zeit, okay?“ Ben konnte die Situation sowieso nicht schlimmer für ihn machen. Mit dem letzten Rest Würde nickte er und sagte: „Danke, die brauch ich jetzt.“ Und sie klaubte sich ein paar Sachen aus dem Schrank und rauschte aus dem Zimmer. Wunderbar, dachte Ben. Sie rettet dir dein Leben, gibt dir Speis und Trank, wäscht deine Klamotten, die du vollgekotzt hast und wie stellst du dich an? Wie der letzte Depp! Das wird geändert, aber sofort! Hastig zog er sich an und stürmte aus dem Zimmer, ging einen kurzen Korridor entlang und stieg an dessen Ende eine Treppe hinab, die ihn direkt in einen großen Raum führte. Dort saß die Jägerin an einem Tisch und nahm äußerst gesund aussehende Sachen zu sich. Als sie ihn bemerkte hatte sie einen lästernden Tonfall aufgelegt. „Ach? Du hast es geschafft?“ Ben erwiderte nichts, darauf wusste er sowieso keine sinnvolle Antwort, die nicht verletzend wäre. Stattdessen setzte er sich demonstrativ zu ihr an den Tisch und sagte: „Du hast mir mein Leben gerettet!“ Die Jägerin war verblüfft, wenn auch erfreut. Sie lächelte wieder. „Vielleicht muss ich das noch öfters tun, wenn du dich immer so anstellst.“ „Es war meine erste Quest. Ich glaube der Kushala Daora hätte jeden Neuling in Lebensgefahr ge-bracht, ganz gleich wie geschickt er sich anstellt.“ Sie schwieg. „Wie gesagt, du hast mein Leben gerettet, meine Sachen gewaschen und mich versorgt. Dafür danke ich dir!“ Ben lächelte sie an und breitete die Hände aus. Sie zögerte einen Moment, dann stand sie auf und schob den Stuhl an die Kante. „Das ist nett von dir.“ Er erhob sich ebenfalls. „Die Scherben in deinem Zimmer–“ „Die räumst du weg.“ Der Tonfall war bestimmt, aber freundlich. Hätte er selbst den Satz zu Ende gesprochen, fand er, so käme es vielleicht als nette Geste an, aber so klang es nur wie ein Befehl. „Aber ich bewahre sie für dich auf!“, sagte er und nahm sich vor, alle Scherben säuberlich auf dem Nachttisch zu stapeln.
Als er wieder in ihr Zimmer kam, warf er rasch die Decke aufs Bett zurück, fegte die Krümel zusam-men und legte die Scherben der zersprungenen Tasse ausbalanciert übereinander auf einen Bett-pfosten, sodass sie bei der geringsten Berührung wieder auseinanderfallen würden. Den Teller nahm er mit runter. Als er den großen Raum betrat, war sie gerade dabei, neues Holz in einen Kamin zu werfen. „Alles fertig!“, verkündete er. Sie drehte sich nicht um. „Danke.“ Er näherte sich ihr und genoss die stärker werdende Wärme des Kamins. Und ihren Anblick. Ihre traumhafte Gestalt vor einem sanften, orangenen Licht. Abrupt drehte sie sich um. „Sag mal, wie kommst du eigentlich nach Hause?“ Ben öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Dann setzte er noch einmal zum Sprechen an: „Also, ich weiß ja nicht mal wo ich überhaupt bin…“ „Du bist mitten im Furahiyagebirge, …?“ Sie machte einen Laut, als hätte sie ihren Satz noch nicht beendet und müsse noch ein Wort hinzufügen, das nur Ben kannte. „Öm…“ Ihm entging das nicht. „Ben“, sagte er. „Ben“, wiederholte sie. „Du bist hier in Pokke, meiner Heimat. Du kannst mich Lea nennen.“ „Werd ich tun, Lea. Wie weit ist denn ungefähr der nordöstliche Teil der Wüste entfernt?“ „Der nordwestliche Teil?“ Sie überlegte. „Ja. Oder Shezel, falls dir die Stadt was sagt?“ „Schon mal gehört. Soll schön sein. Also unter normalen Umständen könntest du morgen schon daheim sein. Aber leider haben wir keine normalen Umstände.“ „Daora?“ „Du hast es erfasst. Du musst warten, bis er erlegt wurde.“ Eigentlich wollte er noch gar nicht zurück nach Hause, als viel lieber Lea näher kennen lernen. Sie hatte ihn schließlich gerettet. Er würde es als undankbar empfinden, einfach wieder zu gehen. Etwas wollte er gutmachen. Außerdem genoss er ihre Nähe. „Einfach warten?“ „Du kannst auch Quests annehmen, zur Trainingsschule gehen, dem Schmied über die Schulter schauen, was du willst.“ „Ich hab ja noch nicht mal meine erste Quest gemacht.“ „Dann jammer entweder rum, bis sie sich von allein erledigt, oder lenk dich mit was anderem ab und schau, dass du sie fertig kriegst, bis du wieder nach Hause kommst.“ Wieder dieser freundlich bestimmte Tonfall, der so gar nicht zum Gesagten passen wollte. „Was hast du denn jetzt zu tun?“ Leas Augenbrauen erhoben sich etwas. „Im Moment nichts. Ich komme gerade von einer Quest.“ „Wieso zeigst du mir dann nicht einfach mal das Dorf?“ Lea zögerte. „Ähm… Klar, warum nicht?“ Beide warfen ihre Pelzmäntel über und verließen das Haus, das von außen wie eine Villa aussah. „Lebst du hier allein?“ Lea seufzte plötzlich tiefe Trauer aus. Bevor sie antwortete trabte sie schwermütig los. „Ja… Mittlerweile. Früher hat es meinem Vater gehört. Aber er ist auf einer Quest gestorben. Meine Mutter schon bei meiner Geburt“, sagte sie dann. Donnerwetter, da kommt aber alles zusammen, dachte sich Ben. „Was war passiert?“, fragte er etwas gedämpft. Lea ging einige Schritte schweigend weiter, ehe sie sprach. „Er war zusammen mit zwei anderen Jägern auf einer Quest zur Vertreibung Lao Shan Lungs. Über Details hat man mich aber, glaube ich, angelogen.“ „Das tut mir Leid.“ „Brauch es aber nicht. Es ist schon lange her.“ Mit einem Mal war ihre Trauer wieder weg. „Schau dir lieber das Dorf an. Von hier aus kannst du fast alles sehen.“ Sie hatte eine Anhöhe erreicht, hinter der es relativ steil nach unten ging, zu einer weitläufigen Weide, und von der aus man in die andere Richtung einen unglaublichen Blick auf einen Berg, der Gipfel so scharf wie ein Messer, und direkt zu Füßen das Dorf Pokke sah. „Orientier dich mal ein bisschen. Das große Gebäude da vorn ist eine Art Kneipe. Offiziell heißt es Versammlungshalle, aber das sagt hier kein Mensch. Da nimmst du Quests an, die die Gilde aufgibt. Links daneben führt ein Weg etwas außerhalb des Dorfes zu einer Arena. Neben der Arena ist auch die Trainingsschule. Aber du kannst weder das eine, noch das andere von hier aus sehen.“ „Was wird denn in der Schule gemacht?“ „Das zeig ich dir, wenn wir hingehen.“ Sie grinste. „Aber glaub mir: Da werden Jäger gemacht.“ „Hast du da Jagen gelernt?“ „Nicht viel. Mein Vater hat mir fast alles beigebracht, was man eben lernen kann. Ein Großteil der Jagd macht ja Erfahrung aus. Aber ich war auch einige Male in der Schule. Die Übungen dort kannst du immer mitmachen. Eigentlich ein gutes Training.“ „Was ist da?“ Ben deutete auf eine azurblaue Kuppel, etwas rechts von der Versammlungshalle. „Ein reines Stück Machalit. Der größte Brocken, der jemals gefunden wurde.“ „Wieso wird er nicht abgebaut?“ „Hat wohl historischen Wert oder so ähnlich.“ Ben starrte das blaue Glitzern in der Sonne an und bekam große Augen. Wahnsinn, man konnte fast hindurchsehen, obwohl er am anderen Ende des Dorfes lag. „Wer ist da am Feuer?“ Ben meinte eine alte Frau, dick in Pelze und Schals eingehüllt, die mit einem Stock in der Glut eines kleinen Feuers herumstocherte, welches zu Füßen des Machalitbrockens lag. „Die Dorfchefin“, erklärte Lea. „Du solltest dich bei ihr noch vorstellen. Übrigens vergibt sie auch Quests.“ Ein frischer Wind kam auf. Lea schloss die Augen und sog die Luft ein. Ben atmete auch einmal tief durch, empfand dabei aber nur stechende Kälte in der Brust. Dieses Klima war nichts für ihn, wo er doch in so warmen Regionen aufgewachsen war. Lea schien es jedoch zu genießen. „Ahh, wunderbar! Dieser Wind entstammt Mutter Natur und nicht eines Drachen.“ Das erinnerte Ben daran, dass er hier festsaß. Lea hin oder her, er wusste nicht, wie er hier weg-kommen sollte. Die Aussicht auf die Berge war zwar traumhaft, aber es war überall schrecklich kalt, er kannte hier niemanden und er wusste nicht wie lange er auf Grund des Kushala Daoras im Dorf gefangen war. Eine milde Besorgnis befiel ihn heimlich. „Ist Pokke komplett von Bergen umringt? Liegt es wirklich mitten im Gebirge?“ Lea zögerte. „Jein. Du siehst hier zwar ringsum Berge, aber eigentlich befinden wir uns im südlichsten Tal des Furahiyamassivs. Wenn du mal hier entlang schaust–“ Beide drehten sich um und erfassten nun einen wolkenverhangenen Berg, oder vielmehr einen Bergkomplex, dessen zahlreiche Gipfel breit den Horizont ausfüllten. „– dann siehst du denn letzten Berg vor dem Vulkangürtel, der ja ein großes Ödland hat, bis der eigentliche Vulkan auftaucht.“ „Heißt das, diese Richtung ist der schnellste Weg aus dem Gebirge?“ „Ganz genau.“ Dann ist ja alles klar, sagte sich Ben. Einfach das Flachland da unten erreichen und stur nach Westen fahren. Moment, fahren? Sein Wagen mit seinen Pferden stand ja noch mitten im Gebirge! Lea unterbrach seinen Gedankengang. „Also Ben, dann komm mal mit zur Schmiede. Vielleicht ist das noch ganz interessant.“ „Gerne.“ Sie verließen die Anhöhe in Richtung Dorf und marschierten zu einer dunklen Holzhütte, mit großen Ausmaßen zwar, aber dennoch der Bezeichnung Hütte würdig, aus der ständig Lärm von schweren Hammerschlägen drang und aus deren Schornstein dichter, schwarzer Rauch empor waberte. Auf der Straßenseite war eine Art Tresen aufgebaut, versehen mit einer kleinen Glocke um auf sich aufmerksam zu machen. „Schade, er ist gerade drinnen“, sagte Lea. „Wäre er draußen, hättet ihr euch gleich kennenlernen können. Ist ein lustiger Kerl.“ „Wieso holen wir ihn nicht raus?“ „Er reagiert sehr ungehalten, wenn man ihn von der Arbeit zerrt!“ Ben machte eine verstehende Kopfbewegung. „Ah.“ „Dann gehen wir mal zur Dorfchefin.“ Die mit grauem, festgetrampelten Kies belegte Straße führte an weiteren Wohnhäusern vorbei, stetig bergab und schließlich zu jenem Machalitstein, dessen Größe und Reinheit geradezu sphärisch erschien. An ihn gelehnt, ruhte sich eine schrullige kleine alte Frau von was auch immer aus. Lea blieb stehen. „Geh du weiter“, flüsterte sie. Ben setzte einen Fuß vor den anderen, wurde immer langsamer und stand plötzlich, fast doppelt so groß, wie die Chefin, vor ihr. „Guten Tag“, eröffnete Ben. Die Frau blickte langsam auf, ihr Gesicht die Spuren eines Lächelns zeigend. „Der Jäger, den Lea aus dem Bergland mitbrachte?“ „Ja, Ma’am. Genau der. Mein Name ist Ben und ich komme aus Shezel, aber ich fürchte ich weiß noch nicht genau, wie ich meinen Heimweg antreten kann.“ In aller Ruhe drehte die Dame sich um, lehnte ihren Stock, mit dem sie im Feuer neben ihr rumsto-chern zu pflegte, an den blauen Stein und wandte sich langsam wieder Ben zu. „Bereits viele tapfere und mutige Jäger aus Shezel waren in Pokke. Sie alle haben uns sehr geholfen. Überlege dir in aller Ruhe, wann und wie du in deine Heimat zurückkehrst, aber wisse, dass du in Pokke willkommen bist und bleiben kannst, solange du willst. Wie bist du verunglückt?“ „Ich war auf einer Quest – meiner ersten, wie ich hinzufügen möchte – und wurde von einem Kushala Daora angegriffen.“ Die Dorfchefin nickte betroffen. „Diese Information war mir schon seit wenigen Tagen bekannt, doch sie drang wohl noch nicht bis zum nördlichen Wüstenrand vor. Das tut mir Leid. Ich sollte den Dorfjäger damit beauftragen.“ Ben nickte zustimmend. Dann sprach die Dorfchefin weiter. „du hast deine Quest auch nicht beenden können und wirst es wohl so schnell nicht tun können?“ „Nein, Ma’am.“ „Dann schließe andere ab. Das geht schon in Ordnung.“ „Wirklich?“ „Natürlich.“ Diese Güte, die in diesem Wort lag, verbunden mit der unendlichen Ruhe der alten Dame, entfachte in Ben einen gewissen Optimismus. Dann würde er eben noch hier bleiben. Trotzdem kann er seine erste Quest abschließen! „Nun geh und freunde dich mit Pokke an“, schloss sie, drehte sich gemächlich zu ihrem Stock, und machte sich wieder am Feuer zu schaffen. Ben wusste, dass er gehen konnte und drehte sich ebenfalls um und kehrte zu Lea zurück. „Und?“, fragte sie. „Was und? Hätte sie etwas Bestimmtes zu mir sagen sollen?“, erwiderte Ben ratlos. „Vielleicht. Kannst du Quests annehmen?“ „Ja, ist erlaubt.“ Lea wirkte sichtlich erleichtert. „Dann belagerst du also nicht die ganze Zeit mein Haus!“, lachte sie. Ben ignorierte es. „Sie hat auch gesagt, dass der Dorfjäger den Kushala jagen soll.“ Lea verstummte auf einmal und ihre Augenbrauen wanderten langsam ihre Stirn hinauf. Eine Pause entstand. Dann schüttelte sie den Kopf und blickte Ben noch einmal forschend an. „Hat sie wirklich?“ Ben zuckte mit den Schultern. „Ja, hat sie. Was ist daran so verwunderlich?“ „Der Dorfjäger ist auf Jagd und es ist bekannt, das er noch Wochen unterwegs sein wird. Und sie weiß das.“ Sie setzte zum Gehen an und Ben folgte ihr. Richtung Trainingsschule. „Da kommt wohl Arbeit auf mich zu. Ich kann mir echt Schöneres vorstellen, als den Daora zu töten.“ „Wieso auf einmal du?“ „Ich bin Nummer zwei im Dorf. Da Nummer eins weg ist, gehen solche Quests an mich. An die zweite Dorfjägerin.“ „Kann ich mitkommen?“, fragte Ben plötzlich. Lea schaute ihn an. „Niemals. Deine letzte Begegnung mit ihm sollte dich eigentlich davor abschre-cken.“ „Überhaupt nicht!“ Ben machte eine Pause. „Aber das wäre die Beste Möglichkeit nach Hause zu kommen.“ In Wirklichkeit wollte er Lea nur beim Kämpfen zusehen. Am liebsten sogar zusammen mit ihr gegen den Drachen Kämpfen. „Sicher wäre sie das, aber wieso willst du dabei sein, wenn ich ihn töte?“ „Weil ich dir helfen will. Ich will sicherstellen, dass das Biest nachher auch wirklich tot im Schnee liegt.“ „Da mach dir mal keine Sorgen!“, lachte sie. Gerade verließen sie das Dorf über einen kleinen Feld-weg. „Vielleicht hast du eine etwas falsche Einstellung. Ich bin zwar noch nicht lange Jäger, aber mir wurde immer eingeschärft, den Gegner unter keinen Umständen zu unterschätzen.“ Lea schnaubte. „Ja eigentlich hast du Recht, aber… Das ist nur ein Kushala.“ „Und gleich wieder!“ „Von mir aus, ich verspreche, dass ich auf mich aufpassen werde.“ „Versprich mir lieber, dass ich mitkommen kann!“ Lea suchte nach einem guten Argument. „Wieso lassen wir das nicht die Dorfchefin entscheiden? Sie gibt mir ja schließlich die Quest.“ „Na gut.“ Dann kam in einem kleinen Tal eine Arena in Sicht. „Da wären wir“, sagte Lea glücklich. Die Arena war eigentlich nichts weiter, als eine große kreisrunde, ummauerte Fläche. Die Mauer bestand aus einer Art Sandstein und verlief nicht immer gleichmäßig, sowohl in ihrer Form, als auch Höhe. Die Fläche innen drin jedoch war absolut eben, trotz der Hanglage. Seitlich der Arena war ein rechteckiger Platz, umsäumt von einigen Hütten, die zweckmäßig und alles andere als gemütlich, warm oder bequem aussahen. „Da ist der Treffpunkt“, erläuterte Lea und deutete auf die Rechteckfläche, wo sich schon einige Jäger in spe, wie Ben vermutete, versammelt hatten. „Bevor du mit denen trainierst, möchte ich gerne sehen, was du drauf hast“, sagte Lea ruhig. Bens Augenbrauen krochen in die Höhe. Langsam drehte er seinen Kopf zu ihrem Gesicht hin. Sie wirkte verwundert darüber. „Natürlich mach ich das, was erstaunt dich daran?“ Bens einziger Gedanke war, einen guten Eindruck zu hinterlassen. „Wo willst du das machen?“ „Da drin.“ Sie grinste und deutete auf ein Wäldchen. Das sah harmlos aus: Ihr Lächeln und die Baumgruppe, durch die man gerade so nicht hindurchsehen konnte. „Geh schon mal vor, ich besorg ein paar Waffen. Damit ging sie zu den anderen auf dem Platz. Ben sah ihr nach, wie sie mit einem großen Schrank-mann diskutierte und kurz darauf in einer der Hütten am Rande verschwand. Ben marschierte auf die Bäume zu.
Was auch immer Lea mit ihm vorhatte, ganz bestimmt war er nicht richtig angezogen. Sein Mantel war nicht wirklich ein Schutz vor einer Klinge, einer Kralle oder Ähnliches; so etwas hätte er bei seiner Pepejagd ohnehin nicht benötigt. Eine Waffe hatte er auch nicht dabei, aber darum kümmerte sich offenbar Lea selbst. Und worin könnte die Übung bestehen? Hier, zwischen ein paar Bäumen? Sollte er gegen Lea kämpfen? Hinter ihm knackte Holz, Ben wirbelte herum. Lea. Und eine Schubkarre voll Waffen. „Such dir eine Waffe aus, von der du denkst, dass du mit ihr umgehen kannst. Nimm dir Zeit.“ Ben nickte. Er war jetzt der Schüler, sie die Lehrerin. Gehorche! Welch fremder Gedanke. Der Karren war beladen mit den verschiedensten Waffen. Allesamt für den Nahkampf. Er sah ein sehr langes dünnes Schwert, viel länger, als alle Schwerter, die er gesehen hatte. Fast so lang, wie die Sensen in Leas Zimmer. Auch erblickte eine vertraute Waffe: Ein Schild, in dessen Griff das Heft eines Kurzschwertes befestigt war. Das sah doch sympathisch aus. Aber er schaute sich lieber noch die anderen an. Spontan packte er einen Griff von einer Waffe, die er in dem Gerümpel des Karren nicht komplett sah. Er versuchte sie anzuheben, doch das erwies sich als ziemlich schwer. Was für eine Waffe, dachte Ben. Er packte den Griff mit beiden Händen, stützte sich mit einem Fuß an der Schubkarre ab und zog kräftig. Ein Schwert, mit einer Klinge, die so breit wie ein Oberarm lang war, erhob sich und warf dabei noch ein, zwei kleinere Waffen aus dem Haufen. Schon brannten seine Arme ob des Gewichts. Versuchsweise versuchte er wenigstens einmal zu schwingen, ehe er die Waffe absetzte. Doch das Gewicht war zu groß. Mit einem fffmp fiel das Großschwert ins Gras. Nichts für mich, dachte Ben und packte ein kurzes Schwert geistesabwesend, während er noch auf das Großschwert starrte. Erst nach einigen Sekunden fiel ihm auf, dass ein Schild fehlte, er suchte also noch einmal im Wagen. Er fand keinen, stattdessen eine Klinge, die fast genauso aussah, wie die, die er in der Hand hielt. Nur irgendwie spiegelverkehrt. Er nahm es in die linke Hand. Irgendwie fühlte er sich mächtig. Er hielt keine Schwerter in der Hand, nein, nur seine Arme waren länger geworden! Lang und scharf. Nicht diese Klingen würden Gegner das Lebenslicht aushauchen, nein, Ben würde es tun; schnell und präzise. Ein unglaublich blutrünstiges Gefühl überkam ihn. Nicht schlecht dachte er und legte sie vorsichtig zurück in den Karren. Eine Waffenart verbarg sich allerdings noch in dem Gewühl, doch Ben machte sie ausfindig. Als er sie sah, wusste er: Die nehm ich! Das ist das Stärkste, das hier zu Verfügung steht. Ich habe mich entschieden! Mit grimmiger Entschlossenheit packte er den Griff und zog sie heraus. Er lächelte ein überlegenes Lächeln, eines, das sagte: Kommt nur her, ich vernichte euch alle! Ich kann alles schaffen! Lea nahm es zur Kenntnis. „Du hast dich also für den Hammer entschieden?“ „Voll und ganz!“ „Gib ihn mir mal kurz.“ Sie nahm den Hammer entgegen, schnaufte ein paar Mal und atmete dann tief durch. Langsam hob sie die Waffe über ihre Seite hinter ihren Rücken. Sie holte ein paar Zentimeter aus und ließ dann den Hammerkopf in einem eleganten Bogen um sie herum in einen Baum krachen, vor den sie sich gestellt hatte. Es knackte. Dann gab es Geräusche, als würde etwas zerreißen, begleitet von anschwellendem Blätterrauschen, das noch zunahm während der Baum umkippte, und schließlich in einem lauten Krachen verstummte. Einfach umgehauen!
Thema: Re: Die allmächtige Waffenkammer Fr 6 Nov - 20:49:05
„Nachmachen, Ben.“ Kapitel 3 „Hey, rate, was passiert ist!“ In seiner silbernen Rüstung stürmte er durch die Tür eines kleinen Hauses mitten in Pokke und ge-langte dadurch in ein von einem Kamin beheiztes, rundes Wohnzimmer, in dessen Mitte ein Tisch stand und dessen Wände mit Regalen zugestellt waren und somit den Fenstern verboten, deren Jalousien ohnehin heruntergefahren waren, Licht hineinzulassen, so dass die einzige Lichtquelle das geheimnisvolle, sich ständig verändernde Glühen des Feuers sowohl im Kamin, als auch auf einem Leuchter in der Mitte des Tisches war. Der Jäger, der gerade hereingeplatzt war, hatte eine glänzende Rüstung eines silbernen Rathalos an, seiner Waffe war ein Großschwert, welches quer über seinen Rücken verlief und von hinten wie eine zusätzliche Panzerung aussah. Es war tiefschwarz, mit einem blutroten Streifen vom einen Ende des Gehäuses – es hatte keine Klinge, sondern eben ein Gehäuse, aus dem scharfe Metallzähne herausfuhren, wenn man es kraftvoll schwang – bis zur Spitze. Seine Statur war groß und schlank, gleichwohl man ihm seine jahrelange Erfahrung im Kämpfen an seinen Bewegungen ansah; sie wirkten umsichtig, aber bestimmt. Niemand würde ihm je etwas vorschreiben. Auch seine Augen blickten forschend umher, versuchten alle Details seiner Umwelt zu erfassen und auszuwerten. Er war sich stets Allem um sich herum bewusst. Wäre er nicht so euphorisch gewesen, im Moment da er zur Tür hereinkam, so würde sein Gesicht unter seinen hellblonden, verstrubbelten Haaren eher ernst statt kindlich aussehen. Das Mädchen, das er angesprochen hatte, war seine Jägerpartnerin. Ihre Ausrüstung hatte sie zwar gerade nicht an, doch sie konnte auf ihre goldene Rathianrüstung, die für sie als Schützin besonders gefertigt wurde, und ihre leichte Armbrust aus goldenem und sogar außerdem noch silbernem Wyvernmaterial, unter Kennern als „Überfluss“ bezeichnet, da ihre Schusskraft immer mehr zu bieten hatte, als ihre Opfer vertragen konnten, stolz sein. Ihre dunkelbraunen Haare flossen in einer Kaskade über ihre Schultern und verdeckten ihre glänzenden, blattgrünen Augen. Als der andere Jäger zur Tür hereingestürmt kam hatten sich ihre Lippen, die sich in ihrer Farbe vom Rest des sonnengebräunten Körpers nicht sonderlich unterschieden, zu einem Lächeln gekräuselt, denn natürlich wusste sie die Antwort auf seine Frage. „Es ist soweit“, antwortete sie, bewegte langsam den Kopf in seine Richtung und erhob sich ebenso zögernd, aber sicher, von dem eichenen Holzstuhl mit der unbequemen Lehne, den sie dicht an den Tisch herangerückt hatte. Die Blätter der Bücher, die auf dem runden Tisch lagen und in denen das Mädchen etwas gesucht hatte, flatterten vom durch die Tür wehenden Wind. „Sie hat die Quest angeschlagen. Für Jill!“ „Perfekt. Dann bist du also mehr als pünktlich zurückgekommen!“ „Du wirst lachen. Tatsächlich war ich auf dem letzten Hügel vor dem Dorf, da sah ich jemanden mit der Chefin reden. Ich hab natürlich gewartet.“ „Da hat sie die Quest schon verteilt?“ „Seltsamerweise nicht! Ein Junge hat mir ihr geredet. Als ich dann aber vorbeikam, war die Quest für den Daora trotzdem schon angeschlagen.“ „Nur das zählt! Und natürlich, dass sie ein paar Tage weg ist!“ „Vermutlich nicht. Ich bin dem Daora begegnet, hab ihn zwar nicht getötet, aber immerhin ein bisschen verletzt. Sie wird nicht lange brauchen.“, sagte der Jäger, schloss die Tür hinter sich und mar-schierte durch den Raum, am Tisch vorbei und zu einer Tür in der gegenüberliegenden Wand. Er öffnete diese und blickte in einen bläulich schimmernden Raum. Das war eine Art Kühlschrank, ein Erker, gebaut aus Eisblöcken. Bei den Temperaturen schmolz das Eis in Pokke nie. Der Jäger nahm eine grüne Flasche heraus, drehte sich um und schloss mit einem eleganten Fußtritt die Tür hinter sich wieder zu, während er mit den Zähnen den Korken entfernte. Dann das typische Geräusch des Entkorkens. Er spuckte den Korken auf den Boden. „Normal ist ja immer jemand in ihrem Haus.“ Das Mädchen kam der schäumenden Flasche mit zwei Gläsern zu Hilfe. „Diesmal nicht. Kein Haus-mädchen, kein Gast… niemand! Dank des Kushalas!“ „Ja, der verhindert, dass sich die Leute nach Pokke trauen. Komisch, ich hab ihn kein einziges Mal gesehen.“ Er grinste. „Jedenfalls haben wir heute freie Bahn.“ Er wartet, bis sie vollgefüllt hatte. „Auf uns, Mill!“, rief er dann aus und hob sein Glas. „Ja!“, erwiderte sie, nicht minder enthusiastisch. „Auf uns, Will!“ Sie stießen an, tranken aber nicht, sondern stellten die vollen Gläser achtlos auf dem Tisch ab. Sein Name war Will, er kam in einer Provinz in der Nähe des Vulkans zur Welt und musste auswan-dern, als eine Riesenwyvern das Dorf terrorisierte. Seine Familie kam bei dem Überfall ums Leben, daher zog er mit seinem Paten zusammen in eine Stadt am Rand des Dschungels. Um Geld zu verdienen fing er illegal an, mit geklauten Waffen zu jagen und verkaufte die Materialien und das Fleisch. Hier lernte er auch Milly kennen, die das Jagen in einer Trainingsschule erlernt hatte. Gleich nach der ersten, gemeinsam erlegten Beute beschlossen sie allein in die Welt zu ziehen, ganz das Märtyrerpärchen. So landeten sie irgendwann in Pokke, jenem kleinen verschneiten Jägerdorf im Furahiyagebirge. Von hieraus erreichte man die gefährdetsten Bezirke ohne größeren Zeitaufwand, im Klartext also: Mehr Quests, weniger Zeit, mehr Geld. Eine Jagd aber veränderte ihre Leben. Sie sollten zur Wüste, einen Tigrex erlegen, was auch kein Problem für die zwei war. Doch sie begegneten einem alten Beduinen, der vom Angriff des Monsters verletzt worden war und kurz vor dem Tod stand. Sie nahmen ihn mit in die nächste Stadt, doch auf dem Wege dahin vertraute er ihnen an, dass er sich auf einer geheimnisvollen Suche befand. Er war auf den Spuren eines besonderen Orts. Dieser Ort ließ sich nur finden, wenn man alle Hinweise richtig deute, die überall auf dem Kontinent verstreut waren. Doch der Ort an sich war nichts Besonderes. Nein, aber er beherbergte eine Waf-fenkammer, mit Waffen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Waffen eines antiken Meister-schmieds, einem Urahn des Beduinen, um genauer zu sein. Der alte Mann starb Gott sei Dank nicht und konnte sich einigermaßen erholen, doch er sagte den beiden Jägern, dass er zu schwach für die Suche sei. Als Dank, dass sie ihm das Leben gerettet hatten überreichte er ihnen ein uraltes Pergament, mit noch älteren Worten darauf, die der Beduine allerdings übersetzen konnte. Offenbar war in einem großen Machalitstein im Gebirge der nächste Hinweis eingraviert, und es handelte sich nicht um den Stein in Pokke. Will und Mill hatten auf einer anderen Quest ein Grotte entdeckt, in der sich ein noch viel größerer Brocken reinsten Spatzensteins befand. Und tatsächlich: Hier war eine Karte eingeritzt worden, eine Karte vom Standort Pokke, wo sich demnach am östli-chen Abhang des Dorfes der nächste Hinweis befand – praktisch genau unter Leas Haus. „Also Mill. Sobald sie die Quest annimmt brechen wir bei Jill ein!“ „Und finden vielleicht die Waffenkammer“, ergänzte sie flüsternd. Ben nahm Lea den Hammer ab. „Okay, ich versuch das auch mal“, sagte er unsicher, doch als er die Waffe sicher in beiden Händen hielt, durchströmte ihn Zuversicht und neues Selbstbewusstsein. Er holte weit aus und verharrte in der leicht knieenden Position. Sein linkes Bein war angespannt und versuchte den Boden unter ihm wegzudrücken. Das rechte war gestreckt. Beide Hände umfassten den eisernen, länglichen Griff, der schließlich in den riesigen Hammerkopf mündete. Ben holte tief Luft. Sein rechtes Bein stieß sich ab, sein linkes drückte ihn nach oben, er hob den Hammer kurz in einem Bogen in die Höhe und ließ ihn dann leicht schräg nach unten auf einen Baumstamm krachen. Dieser erzitterte, Äste rieselten herunter, Vögel kreischten und stoben davon, der Stamm vibrierte. Doch er fiel nicht um. Lea legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Nicht schlecht für den Anfang. Da steckt eine Menge in dir drin.“ Ben nahm das Kompliment schweigend an. Aber Lea hatte einen verrückten Trainingsplan parat: Ben sollte lossprinten, alle par Meter mit dem Hammer auf den Boden hauen, an Bäumen vorbei rennen, und die Stämme alle in der gleichen Höhe treffen und schließlich, das sonderbarste von allem, musste er noch weit ausholen, den Hammer am untersten Ende des Griffes fassen und losschwingen, sich wie ein Kreisel drehen; und das alles bitte so schnell und lange wie möglich, schwächeln geht gar nicht! Als es dämmerte war er vollkommen fertig. „Sehr gut, Ben!“ ermunterte sie ihn. „Nur bedenke, bei einem echten Kampf kommt noch Auswei-chen, Springen und Rollen dazu, und du hast eine Rüstung an. Dafür musst du auch nicht ganz so hart zuschlagen, wie auf die Bäume. Natürlich nur wenn du richtig triffst.“ Bens Augen wurden groß, er keuchte noch einmal, dann ließ er den Hammer erschöpft in den Karren fallen und taumelte los. Lea sah ihm nach, zweifelte fast an seiner Zukunft als Jäger, beschloss aber optimistisch zu sein und brachte die Schubkarre zurück zur Trainingsschule, während Ben schon mal zu ihr nach Hause kroch. Dann machte auch sie sich auf den Heimweg. Sie schritt die hügelige Straße gedankenlos ab und nahm war, wie es rasch und sichtbar dunkel wur-de. Vor ihrem Haus war ein Brett, es war immer dort. An dieses Brett, gemacht aus edelster Eiche und geformt zu einem perfekten Quadrat, wurden immer die Quests angeschlagen, die primär für das Dorf oder vielmehr für die Chefin, von Interesse waren. Jetzt hing hier ein Zettel:
Quest im Auftrag des Dorfgremiums:
Pokke vor dem Kushala Daora schützen. Vermuteter Aufenthaltsort: Mittleres Furahiyagebirge. Letzte Sichtung: Mittleres Furahiyagebirge. Gezählte Opfer des Zielgegners: 18 Pepes, 4 Antekas, 1 Khezu. Menschen wurden bisher nicht verletzt. Diese Quest bitte dringend antreten! Vertragsgebühr: 3000z Questbelohnung: 9000z. Das Dorfgremium Wie praktisch, der Daora hatte schon einen Khezu erlegt. Und morgen würde sie den Drachen erle-gen – falls der dann nicht buchstäblich über alle Berge war… Im mittleren Teil des Gebirges wurde er also das letzte Mal gesichtet? Pokke lag ein wenig südlich der Mitte, sie würde also nicht viel an Wegstrecke zurücklegen müssen. Als Waffe würde sie ihre mit Gift beschichtete Sense nehmen, dadurch verlor der Daora etwas Kontrolle über den Wind, den er ansonsten so perfekt beherrschte. Was bräuchte sie noch? Blitzbomben? Heißgetränke? Arzneien, zur ersten Hilfe? Rationen für zwi-schendurch? Wetzsteine? Ihre Gebietskarte? Welche Rüstung würde sie nehmen? Etwas gegen die Kälte? Nicht, wenn sie ein Heißgetränk mitnahm. Etwas gegen Windstöße? Nutzlos, wenn sie die Windkontrolle des Kushala Daora mit Gift hemmen konnte. Etwas schnelles, leichtes, für gute Agilität und Wendigkeit? Immer nützlich. Sie war im Jagdfieber. Niemals ging sie nun entspannt in ihr Zimmer und schlief sich aus. Nein, sie würde den Kushala jagen, bei Nacht! Energisch drückte ihre Hand den Türgriff runter. Sollte sie Ben mitnehmen? Würde er mitkommen wollen? Er saß in einem Sessel vor dem Kamin, in dem noch etwas Glut schwelte. Kein Kopfdrehen, als sie eintrat, keine Begrüßung. Lea stockte den Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde. Na und wenn schon. Lautstark ließ sie die Tür hinter sich zugehen. „Hi, Ben.“ Jetzt drehte er sich um. „Hi.“ „Wie du vielleicht gesehen hast, muss ich los.“ „Ich habe nur gesehen, dass du den Kushala Daora jagen musst. Wieso musst du jetzt schon los?“ Bens Tonfall war weder anklagend noch wirklich interessiert. Eine einfache, belanglose Frage, gleichwohl der Inhalt an sich anders klang. „Ähm… da steht, ich muss sie dringend antreten, die Quest. So bald wie möglich, du verstehst?“ Ben, der ihr vorher nur den Kopf zugewandt hatte, drehte den Rest auch noch zu ihr. „Du willst in der Kälte und Dunkelheit da raus, einen Drachenältesten bekämpfen?“ In gespieltem Überlegen und Grübeln beschied Lea langsam: „Ja.“ „Na gut. Viel Glück, pass auf dich auf“, sagte Ben und drehte sich wieder der Glut zu. Lea seufzte so, dass er es nicht hören konnte. Sie atmete kurz, aber tief, durch und fragte schließlich: „Du könntest mitkommen. Natürlich nur, wenn du dich bereit fühlst.“ Ben schwieg einen Moment, dann drehte er sich wieder um. „Das ist, glaube ich, eine Nummer zu groß für mich. Ich hatte erst eine einzige Quest, die ich noch nicht einmal fertiggemacht habe. Und jetzt gegen einen Drachen? Ich weiß nicht…“ „Ich wär ja bei dir. Du müsstest ja nicht kämpfen, aber ein bisschen Erfahrung sammeln, den Schre-cken verlieren. Einfach was erleben.“ „Es kann aber so viel passieren.“ „Wenig, um es mal ganz unbescheiden zu sagen. Das ist nicht mein erster Kampf.“ „Dein erster Daora?“ „Auch nicht.“ Jetzt stand Ben langsam auf, den Kopf ihr zugewandt, die Augen allerdings nachdenklich die Decke fixierend. Dann sah er sie forschend an, musterte sie. „Du scheinst dir wirklich sehr sicher zu sein.“ Lea antwortete nicht, es war auch nicht nötig. Er überlegte weiter. „Es wäre schon eine nützliche Erfahrung für mich. So was mal zu sehen. Seine Bewegungen.“ In Wirklichkeit freute er sich noch mehr auf den Anblick Leas, im wilden Kampf gegen ein Monster. „Weißt du was? Ich komme mit!“, entschied er plötzlich. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Ich zieh mich um und bereite mich vor. Du solltest dir auch überlegen, was du dir mitnimmst.“ Will saß in einem Gebüsch an einem Hügel vor Leas Haus. Milly lag direkt hinter ihm mit dem Rücken auf dem Boden. Sie beiden hatten eng anliegende Leder- und Stoff Kleidung um keine unnötigen Geräusche beim Bewegen zu verursachen. Mittlerweile war es stockfinster. Einige Fenster glosten schwach durch die zugezogenen Vorhänge des Hauses, aber Will hatte Lea reingehen sehen. Er wusste, dass sie viel zu ehrgeizig war mit auch nur irgendeiner ihr angebotenen Quest zu warten. Außerdem war es einfach die perfekte Gelegenheit für sie. Der Drache musste sich leicht aufspüren lassen. Mehrere Minuten verharrten beide und nichts geschah. Dann regte sich Milly etwas. „Glaubst du sie geht noch?“ Will ließ sich Zeit mit der Antwort, da er zu angestrengt die Tür beobachtete. „Ja, sicher! Einfach Geduld haben!“ „Aber sie hat doch so oft Quests. Wieso warten wir nicht ab, bis wir sicher wissen, dass sie weg ist?“, flüsterte sie ihm zu. Tatsächlich. Wieso hatten sie sich so lange Zeit gelassen? Einfacher wäre es doch, am helllichten Tage in das Haus zu gehen und sich in aller Gemütsruhe umzusehen, wissend, dass Lea vielleicht eine Mehrtagesquest unter Vertrag hat. Aber das ging nicht. Es war immer jemand da. Irgendwelche lästigen Waschweiber oder Zimmermädchen. Und sie alle arbeiteten für diese Lea und bewachten das Haus argwöhnisch, als wüssten sie um das Geheimnis, das es umgab; oder kam es ihm nur so vor? „Das Haus ist komplett leer, da die Quest so überraschend kam. Jetzt, oder nochmal warten, für wer weiß, wie lang.“ Milly nickte, was Will natürlich nicht sehen konnte. „Da, die Tür öffnet sich!“, zischte er. Lautlos ging Milly von ihrer Liegeposition in eine Hocke um besser sehen zu können. Die Tür stand offen. Lea kam heraus, in einer hochwertigen und leichten Rüstung, einen starren Rucksack in einer Hand, eine Sense auf ihrem Rücken und… „Wer ist das?“ „Das ist dieser Junge, den ich mit der Dorfchefin gesehen hab. Ihr Freund?“ Milly schnaubte. „Er hat noch nicht einmal eine Waffe dabei.“ Lea schloss die Tür und redete auf den Jungen ein, der ab und zu nickte. Dann gingen beide los und verschwanden in der Dunkelheit. „Okay, komm Mill!“ Sie standen vorsichtig auf und schlichen geduckt den Hügel zur Seite des Hauses hinein. Hinter einem Fenster war der Vorhang nicht zugezogen. Will spähte hinein. „Ich kann niemanden sehen“, flüsterte er. Sie glitten an der Hauswand entlang. Ihre weichen Schuhe verschluckten jedes Geräusch, die Finsternis der Nacht ihre Gestalten. Dann kamen sie zu einem, dem Dorf abgewandtem Fenster. Aus einem Beutel holte Milly ein winziges Messer mit einer speziell verzahnten Diamantklinge. Eigentlich sah es eher aus, wie ein Dosenöffner: Ein Holzgriff mit einem Metallplättchen, auf dem keine Klingen, sondern vielmehr Rädchen befestigt waren, welche die Klingen aufwiesen. Ferner gab sie ihm einen Saugnapf, etwas zum Festmachen eben, den Will im rechten Bereich der Scheibe andrückte, etwa auf der Höhe, wo er innen den Griff vermutete. Dann nahm er den Schneider, legte ihn in einem Winkel von 135° an das Glas und fuhr vorsichtig um das Gummi herum. Es knackte. Will nahm seinen Druck auf die Scheibe etwas zurück und ließ den Saugnapf sogar ganz los. Es zeigte sich ein Haarriss, der im plötzlich auftauchenden Mondlicht silberblau glänzte. Langsam aber sicher vollendete er den Kreisschnitt und zog an dem Stiel des Saugnapfes. Eine Kreisrunde Glasplatte löste sich mit einem leisen Krachen aus dem Fenster, groß genug, um mit einem Arm ins Innere zu gelangen. Aber sicher ist sicher und Milly hatte das schmalere Handgelenk. Sie trat vor und streckte ihren Arm aus, tastete im Inneren nach dem Griff für das Fenster und legte ihn um. Dann ließ sie vorsichtig ihre Hand wieder nach draußen gleiten, denn die Kanten der Öffnung waren sehr scharf. Schließlich konnte Will das Fenster ganz öffnen und sie traten in Leas Haus ein. Dann nicht vergessen, das Fenster wieder zu schließen, die Vorhänge zuziehen und aufatmen. „Wenn Jill wüsste!“, grinste Milly. „Sch!“, machte Will leise. „Man weiß nie, ob nicht vielleicht doch jemand hier ist.“ Milly nickte. „Du hast Recht“, hauchte sie so leise, wie möglich. „Wo sollen wir nun suchen?“ „Einfach an dem Teil des Hangs, wo laut Beschreibung Der Hinweis ist.“ Er bewegte sich lautlos aus dem Zimmer und befand sich nun in einem Wohnzimmer, die Glut des Kamins schimmerte noch leicht. Er begann etwas zu flüstern. „Drei im Norden…“ Er blickte nach rechts und sah der schroffe Felsen im Mondlicht am Hang. „Einer im Süden…“ Links war nur ein Felsen. „Und in der Mitte…“ Er schaute sich den Boden zu seinen Füßen genauer an. Das Bodenbrett knarzte etwas. Vielleicht war es locker? Er kniete sich hin und ließ einen dünnen Dolch zwischen die Fugen gleiten, um dann das Brett raus zu hebeln. Mit einem Knirschen löste es sich. Unten drunter war eine handtellergroße Falltür. Sie ging leicht auf und drinnen befand sich das sehnlichst erwünschte Etwas, dass Mill und Will suchten. „…der letzte Weg!“ „Hast du etwas?“, fragte Mill, kaum fähig Vorfreude zu unterdrücken? „Ja – den vorletzten Hinweis. Lass uns gehen!“ Er machte die Falltür zu, und machte das Bodenbrett wieder zwischen den Fugen fest. „Ist er wirklich…?“ „Er ist echt, keine Sorge. Lass uns lieber verschwinden.“ Sie verließen das Haus wieder durch das Fenster, schloss es und setzten die rausgeschnittene Glas-scheibe vorsichtig in das Loch zurück. Das war natürlich nicht befestigt, aber zumindest würde es nicht auffallen. Ebenso lautlos und unbemerkt, wie sie gekommen waren, kehrten sie wieder in ihr Haus zurück, ließen die Tür hinter sich zufallen und mussten grinsen, ob der erfolgreichen Mission. „Warte, ich hole die restlichen Teile!“, sagte Milly und klaubte aus Schränken verschiedene Perga-mentfetzen zusammen. Sie mussten alle irgendwie mal eins gewesen sein, denn alle Fetzen fügten sich wie ein Puzzle. Auf dem entstandenen Blatt offenbarte sich eine Karte. „Wahnsinn…“ Wills Augen wurden groß. „Und so einfach zu lesen!“ Mill sah es auch auf Anhieb. Eine Art Pfad, der zu einem brennenden Berg führte, unverständliche Schriftzeichen am Rand und kreuz und quer über das Bild. „Ist am Ende dann die Kammer, oder wieder nur ein Hinweis?“, wunderte sich Milly. „Nein, die Kammer ist woanders. Ich glaube, dass im Vulkan der ultimative Hinweis verborgen ist. Eine sehr genaue Karte und vielleicht Infos zu den Waffen selbst. Wow, ich kann es kaum erwarten. Wir sollten sofort aufbrechen!“ Er zog den Lederanzug aus und fing hastig an, seine Rathalosrüstung anzulegen. Mill ließ sich anste-cken, auch sie war begierig, die Waffenkammer zu finden. Nicht minder hektisch warf sie sich in ihre Rathianrüstung. Innerhalb einer halben Stunde waren sie zum Aufbruch bereit. „Los geht’s!“ rief Will begeistert. Kapitel 4 Nur der Mond erhellte den Weg aus dem Dorf. Noch war ihre Waffe – eingepackt in weiche Stofftücher, dass sie beim Laufen nicht schepperte – federleicht an ihrem Rücken befestigt, doch sie wusste, die vergiftete Sense würde schwer werden, gegen Ende des Kampfes, wer auch immer verenden würde, tonnenschwer wiegen… Es war kalt, aber nicht zu kalt. Eher kühl, kaum Wind, bewölkter Himmel, doch der Mond schien ein Loch in der Wolkendecke für sich zu beanspruchen, um ungehindert auf den Boden scheinen zu können. „Es schneit gar nicht! Sind wir hier richtig?“, fragt Ben nach einer Weile. Lea schwieg. Sie verließ sich beim Jagen nicht auf das, was in Lehrbüchern stand, sondern vollkom-men auf ihr Gefühl. Es hätte stürmen müssen, das Wetter hätte miserabel sein müssen, sollte hier irgendwo in der Nähe der Winddrache lauern, doch ihr Gefühl sprach ihr Zuversicht zu. Sie waren richtig. „Lea?“ „Ja?“ „Es müsste doch windig sein, oder?“ „Eigentlich schon.“ Und doch liefen sie weiter. Ben wurde etwas ärgerlich. Egal, was er jetzt gesagt hätte, es klänge aufdringlich und naiv. Aber dass er ein Neuling war, musste Lea wohl wissen. Daher: „Wieso laufen wir dann in diese Richtung? Da hinten sind dunkle Wolken am Himmel.“ Er deutete auf einen wolkenverhangenen Gipfel, der zwischen einem dunklen Sturm nur halb zu sehen war. „Weil ich glaube, dass wir hier entlang müssen. Deshalb.“ Welch ein schwachsinniges Argument, das wussten beide in dem Augenblick. Aber Ben erwiderte nichts, was auch; was sollte er sich groß fragen? Was sollte er Lea jetzt fragen? Daher liefen sie einsam im Mondlicht dem nächsten Berg entgegen. Bald fiel die erste Schneeflocke und landete auf Leas Nase. Sie stoppte kurz und sah nach oben. „Was ist?“, fragte Ben. „Er hat uns gesehen.“ Sie ging gleich weiter. Wieder Schweigen. Der Schneefall nahm zu, wurde dichter, kühlte die Luft ab. Ben nahm sein Heißgetränk. „Ich hoffe, du hast genügend dabei, wenn du jetzt schon eins nimmst…“ mahnte Lea. „Keine Sorge“, lächelte Ben. „Sag mal, wie soll ich mich eigentlich verhalten, wenn-“ Es krachte laut hinter ihnen. Sie wirbelten herum. „Whoe!“, machte Ben und tat stolpernd einen unkontrollierten Schritt rückwärts. Der Kushala Daora fing sich gerade mit den Klauen am Boden ab, fixierte aber bereits intensiv beide Jäger. Dann kam sein berüchtigtes, metallenes Kreischen. Ben zuckte zusammen, doch Lea hatte bereits ihren Helm mit Ohrenschutz angezogen. Als das Krei-schen verstummte, und der Kushala sich zu seiner vollen Größe aufbaute, sagte sie leise zu Ben: „Bleib einfach hinten. Wenn ich es nicht schaffe, dann flieh!“ „Was soll das heißen, wenn du es nicht-“ Doch sie wartete keine Antwort ab, sondern stürmte bereits in einem anmutig-eleganten Sprintstil zum Drachen. Geschickt schlug sie zwei Haken, rannte von der Seite her im Zickzack auf den Kopf zu und zog erst im letzten Moment die Waffe. Die Klinge der Sense traf ein Nasenloch; der Daora zuckte zurück, breitete die Flügel aus und brauchte nur einen einzigen Flügelschlag, um an die zwanzig Meter nach hinten zu springen. Von dort aus fauchte er Lea entgegen. Dann wurde der Horizont aus Bens Sicht weiß. „Deckung!“, hörte er Leas Schrei, doch wo sollte er in Deckung gehen? Ben war paralysiert. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Alles bewegte sich in Zeitlupe: Lea warf ihre Waffe zur Seite und sprang ihr hinterher. Gleichzeitig näherte sich eine weiße Kugel aus Licht, wie es schien, und erhellte die Nacht zum Tag, oder eher weit darüber hinaus. Gesteinsbrocken brachen links und rechts der Kugel aus dem Boden und wurden seitlich weggeschleudert. Erst jetzt spürte Ben die Eiseskälte, kombiniert mit dem schärfsten Wind seit seinem Flug hoch im Gebirge. Mit einem Mal wusste er, was ihm Flügel verliehen hatte, was ihn grausam durch die Luft katapultiert hatte. Endlich reagierte er; auch wenn es nur eine unbeholfene Rolle in ein größeres Schlagloch war. Das weiße Etwas rauschte über ihn hinweg, Steine, Wurzeln, noch mehr Steine flogen in das Schlag-loch hinein und begruben Ben teilweise unter sich. Über seine Nase lief Blut, seine Hand war aufge-schürft, der Pelzmantel hielt nur wenig aus… Eine Sekunde später war es vorbei. Ben versuchte aufzustehen, doch ihm tat alles weh. Als er den Kopf hob, sah er Lea schon mitten im Angriff. Ihre Sense traf Daora mehrmals am Kopf und ritzte eine leichte Wunde in einen der Flügel. Sich aufbäumend drehte der Drache sich zu ihr um und hieb mit einer Klaue zu. Doch Lea duckte sich reflexartig und nutzte die Aufstehbewegung um einen Aufwärtshaken mit ihrer vergifteten Waffe auszuführen. Die Klinge blieb im Kinn des Kushalas stecken. Lila gefärbtes Blut tropfte aus dem Mundwinkel. Lea zögerte nicht lange sondern befreite ihre Sense aus dem Kopf und fügte ihm eine weitere Wunde zu, diesmal hinterm Ohr; zumindest dort, wo man ein Ohr bei einem Drachen vermutete. Der hingegen hatte erstmal genug und erhob sich in die Lüfte, drei Meter hoch, dort blieb er. Er startete einige Luftbodenangriffe, feuerte kleinere Versionen der weißen Kugel, doch die Jägerin schaffte es jedesmal mit Rollen und Haken auszuweichen und sogar mit Aufwärtshieben den Schwanz des Drachen zu erreichen. Anmutig mit den Flügeln schlagend – und dabei ein Geräusch von einer anderen Welt erzeugend – wägte der Kushala Daora ab, was er als nächstes tun sollte; ob er weiterhin diese Jägerin attackieren sollte, die ihm das Leben schwer zu machen versuchte, oder lieber diese Gestalt im Hintergrund, die dem Drachen vom Geruch her wohl bekannt war. Ben spürte, dass der Drache an ihn dachte. Nicht etwa ein unbestimmtes Gefühl hinterm Ohr, oder ein Kratzen in der Nase, sondern pure Kälte, klirrend, glatt und schneidend, wie ein vereister Dolch mitten in seiner Brust. Die Nacht war dunkel, der Mond etwas verdeckt, der Himmel zog sich immer weiter zu, nur Schatten waren auszumachen. Doch die glitzernden Augen des Winddrachen funkelten wie bläuliche Kerzenflammen den ganzen Weg zu Ben hinüber. Eine leise Panik ergriff ihn. Er war das Ziel! Gleich kam der Sturzflug. Oder wieder der Windstoß! Oder ein Eisstrahl! Und er, Ben, war teilweise begraben unter Dreck, mit aufgeschürften Gliedmaßen; er hatte noch nicht einmal seine erste Quest erledigt - Pepezungen abliefern – und stand einem Drachenältesten gegenüber. Aber: Vergaß er nicht etwas? Richtig!, sagte er sich, Ich bin nicht allein! Etwas erhellte die Nacht zum Tag, für weniger als eine Sekunde, heller als der direkte Blick in die Sonne. Ben starrte ins Leere. Er wusste, dass er den Drachen anstierte, doch er sah lilane und gelbe funken tanzen. Und seine Augen brannten, als hätte er ein Sandkorn drin; so wie früher in Shezel bei der Feldarbeit, wenn plötzlich die Ausläufer von Sandstürmen der nahen Halbwüste heran drifteten. Lea hingegen behielt den Überblick. Sie hatte genug vergiftete Treffer auf den Kopf gelandet, um die störende Windaura des Drachen zu stoppen. Sie wusste, was es mit der besonderen Kraft des Daoras auf sich hatte. Viele Jäger verzweifelten an der Unantastbarkeit des Daora. Jeder, der in die Nähe des Drachen gelangte, wurde plötzlich von einem Windhauch umgeworfen; die Windaura, die für Kushala typisch sind. Wenige landeten überhaupt effektive Hiebe. Lea wusste jedoch, sie konnte mit dem Gift ihrer Sense unter die Stahlhaut des Drachenältesten gelangen, und somit die Organe unschädlich machen, die den Wind kontrollierten. Das wichtigste davon saß am Kopf, nahe den Hörnern. Am besten wäre es, diese zu zerstören; den Tipp hatte sie von einem Veteran im Institut zur Beobachtung der Drachenältesten bekommen. Was auch typisch für Kushala war, dass sie gerne fliegend kämpften, auch gegen Feinde am Boden – aber nicht mit Lea. Dafür hatte sie Blitzbomben mitgebracht! Hoffentlich hatte es Ben nicht zu sehr erwischt; der lautlose Blitz einer solchen Wurfbombe konnte ernsthafte Augenschäden hervorrufen. Sie hatte natürlich rechtzeitig die Augen geschlossen. Und nun lag der Drache zappelnd am Boden. Lea grinste ihre Euphorie aus, dann sprang sie vor und schlitzte eine lange Schramme quer über die dolchartigen Hörner und initiierte noch mehr Gift. Vielleicht konnte sie mit der Klinge ihrer Sense genau das Auge treffen? Das war stets ihr Ziel, aber so unglaublich schwer, selbst bei einem am Boden zappelnden, ohnehin blinden Drachen. Orientierungslos richtete sich der Herrscher des Windes auf und stellte sich erhaben auf seine Hin-terbeine. Und wieder einmal dieses Unheil verkündende, kalte, metallische Kreischen. Lea spürte ihren Helm vibrieren, doch vom Geräusch bekam sie wenig mit. Ben hingegen war blind und nun auch halb taub. Hilflos lag er in der Bodenmulde, brennende Augen, dröhnender Schädel, waffenlos, verletzt… Mein Gott… Ich krieg nichts mehr vom Kampf mit, und das Sturmunwetter will immer noch mich! Ich muss hier weg. Ben versuchte sich aus dem Dreck zu befreien. Schwerlich stand er auf, wie eine Leiche, die aus ihrem Grad aufersteht. Seine Hände rasten über den Boden, während er geduckt über die Straße kroch und den weg abtastete, da er immer noch kaum etwas sah; es wurde allerdings schon etwas besser. Gras? Gut, kann man sich drin verstecken. Ben stockte. Er verhielt sich wie ein Kaninchen. Ein erbärmliches Karnickel auf der Flucht vor einem Adler. Jäm-merlich… Langsam richtete er sich auf, spuckte Blut auf den Boden, entfernte einen Zweig aus einer Wunde am Arm und versuchte klar zu sehen. Ja, er konnte schon einige Konturen erkennen! Die blauen Drachenaugen wieder, die ihn so böse anstarrten. Und sollte es nicht Nacht sein? Auf einmal war alles messerscharf. Klar, es war dunkel, aber trotz-dem: Die einzelnen Details und Farben wirkten so klar strukturiert, so abgegrenzt und differenziert. Er konnte jede Ritze in der Haut des Drachen sehen, jede Faser an den Stoffteilen Leas Kleidung, jeden Stein…alles. Er stapfte langsam auf das Kampfgeschehen zu.
Der Kushala war nicht mehr blind – erstaunliche Regenrationsfähigkeit, bemerkte Lea – nach seinem majestätischen Kreischen war er gleichmäßig auf allen Vieren gelandet und hatte sofort den Überblick zurückgewonnen. Überblick gewinnt den Kampf. Derjenige, der sämtliche Umgebungsvorteile nutzen kann, gewinnt. Lea hackte nach dem Schwanz, einfach um eine weitere Verletzung hinzuzufügen, doch der Drache flog wieder hoch und blieb abermals drei Meter in der Luft stehen. Ihre Sense steckte im Schwanz. Daora merkte das und hob ihn extra in die Höhe – unerreichbar für Lea… Na gut, dann die nächste Blitzbombe, dachte sie und griff nach ihrer Gürteltasche. Dann traf sie der Griff ihrer eigenen Sense hart auf die Brust, so hart, dass sie umgeworfen wurde, so hart, dass die Blitzbomben aus der geöffneten Gürteltasche kullerten und im schwarzen Gras verteilt wurden – nahezu unsichtbar in der Nacht. Und Zeit zum Suchen hatte sie sicher nicht. Sie landete hart auf dem Rücken, alle Luft wurde ihr aus der Lunge gepresst, sämtliche Leder- und Eisenstützen die in diesem Moment ihren Rücken „stützten“ verfluchte sie für den Schmerz, den sie verursachten. Sie lag auf dem Rücken und konnte nicht aufstehen. Selbst wenn: Sie hatte keine Waffe. Wenn sie nach den Blitzbomben suchen würde, würde sie wieder umgeworfen werden, der Daora war nicht dumm.
Ben ging gemessenen Schrittes auf den Drachen zu. Als würde er ihn gleich anbeten. Währenddessen saugte er die Details seiner Umgebung auf; er kannte jede Hebung, jeden Hügel, alles, was ihm nutzen konnte und alles, was ihn stören konnte. Sein Blick erfasste alles. Woher kam diese Sicht so plötzlich, diese Sicht, jenseits der Sicht. Er hätte blind sein müssen, hatte er doch direkt in die Blitzbombe geschaut. Doch in seinem Hinterkopf funkelten immer diese kleinen blauen Augen des Drachen. Und irgendwie sah er seitdem viel genauer, viel schärfer und nicht nur das: Er hatte den Eindruck sich viel besser einschätzen zu können. Würde er springen, er würde noch vor dem Absprung wissen, wo genau er landen würde, auf den Stein genau, die absolut exakte Stelle. Wenn er lossprinten würde, er könnte auf den Schritt genau sagen, wo er sein würde, wenn er bis tausend zählte. Der Kushala fixierte ihn und würde jeden Moment einen Eisstrahl abfeuern. Ben reagierte sofort: Er rollte zur Seite und fing sich perfekt ab, sprintete vier Meter nach vorne, nutzte einen Hügel um abzuspringen und noch weiterzukommen, federte die Landung wieder ab, schlug einen Haken zum Kushala und rannte dann ins Feld. Der Drache hatte zwar keine Mühe gehabt ihm zu folgen, dennoch war er verwundert über die eckenreiche Laufroute des Jägers. Jetzt eilte er zu der Jägerin. Ben erreichte Lea. „Lea! Bist du in Ordnung?“ Sie hörte durch den Helm nichts. Aber sie sah die Lippenbewegungen und lächelte Ben zu, um ihm zu zeigen, dass es ihr gut ging. Er nahm ihren Helm ab. „Lea? Alles in Ordnung?“ „Ich glaube schon. Er hat meine Waffe.“ „Ich hab‘s gesehen.“ „Pass auf!“, schrie sie plötzlich. Ben drehte sich mit übernatürlicher Geschwindigkeit um, sah den Kushala im Sturzflug heranrasen und wandte sich wieder blitzschnell Lea zu. Kraftvoll warf er sie zur Seite, um sie aus der Reichweite des Kopfes des Drachen zu bringen, er selbst hingegen stand auf, und ging in eine federnd-kniende Sprunghaltung. Was für Lea aussah wie ein schemenhaftes Schauspiel zwischen einem Drachen und einem waffenlosen Jungen, kam Ben in eher gemächlicher Geschwindigkeit vor. Rechtzeitig sprang er ab, umklammerte von unten ein Horn des Drachen und wurde mitgerissen. Der Stahldrache zuckte mit dem Hals hin und her, um Ben abzuschütteln, doch der hatte sich festgeklammert und einen Weg gefunden auf den Rücken zu gelangen. Der Kushala wechselte das Flugmanöver zu einer trudelnden Rolle. Aber Bens Halt war nun stabil. So stabil, dass er sich traute, den Rücken weiter nach hinten zu folgen. Die auf- und abschlagenden Schwingen störten, sie waren pure Gewalt und Ben musste irgendwie zwischen ihnen durch. Okay, kein Problem. Der Drache bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit nach vorne? Ben musste nur loslassen und sich im richtigen Moment wieder festhalten. Das war bestenfalls riskant, aber die einzige Möglichkeit an die Sense zu kommen. Tief durchatmen. Einfach loslassen. Und festhalten. Und möglichst schnell. Nicht nachdenken - ma-chen! Ben ließ los! Er wurde zwischen den Flügeln hin und her geschleudert, stieß sich den Kopf an und verstauchte seine Knöchel und Knie. Rasend bewegte er sich auf den zuckenden Schwanz des Dra-chen zu, dort, wo Leas Waffe steckte. Okay, festhalten…Jetzt! Es gab keinen Halt.
Bens Hände rasten umher, tasteten alles in seiner Umgebung ab und blieben schließlich beide an der Waffe hängen, diese dann fest im Griff. Doch sie löste sich. Nur gut, dass der Drache nicht zu hoch flog. Aber fünf Meter aus voller Fahrt einer Rolle mit unkontrolliertem Sturz waren in jedem Fall fünf zu viel.
Lea hatte drei ihrer vier verbleibenden Blitzbomben gefunden, als sie plötzlich einen dumpfen Auf-prall hörte. Und noch einen. Und einen dritten! „Ben?“, rief sie ungläubig. Der Jäger kam von der Seite auf sie zugepurzelt, überschlug sich dreimal – seine Arme und Beine bewegten sich, als wären sie unabhängig vom Körper – , sein Gesicht war schmerzverzerrt, kam zum letzten mal auf den Boden, stöhnte und blieb liegen. Dann näherte sich etwas Dunkles und Dünnes. Es hatte eine Unwucht, drehte sich um die Horizontalachse und raste extrem schnell schwingend auf sie zu. „Ben!“, sagte sie energisch und kroch zu ihm. „Ben!“ Sie wurde immer lauter. Ihr Kopf raste zuckte zwischen dem dünnen Etwas und Ben hin und her. „Ben! Vorsicht!“ Er öffnete die Augen, erst langsam, dann riss er sie entgleist auf. „Woa!“ Tschack! Die Sense bohrte ihre Klinge quer in den Boden, genau zwischen den beiden. Vor Schreck fiel Lea nach hinten um, fing sich aber sofort und zog ihre Waffe in der Aufstehbewegung wieder raus. „Wow Ben! Ich hab nicht gesehen, was du getan hast, aber danke für die Waffe. Jetzt wollen wir mal jemanden töten!“ „Hey Lea…“, sagte Ben schwach. „Lea, da hinten ist so eine Felswand.“ „Ja?“ „Töte ihn da… ist am einfachsten.“ „Woher weißt du, dass da…“ Abermals das metallische Kreischen. Ben schloss die Augen wieder. „Hab sie gesehen. Ungefähr 500 Meter… Mach schnell!“ Dann ein langsames Schnaufen. „Ben!“ Er antwortete nicht. Lea blickte ihn an. Er sah aus, als würde er schlafen, aber er konnte auch tot sein. „Ben!“ Schweigen. Sie wollte gerade auf die Knie fallen, um ihn genauer betrachten zu können, da hörte sie die Flügel-schläge. Natürlich rannte sie los. Der Daora noch hinter ihr, sie würde es bis zur Felswand schaffen. Noch sah sie nichts in dem leicht-en Schneeregen und der Dunkelheit, aber sie vertraute Ben – seit neustem. Ihre leicht gebückte Haltung, die Sense mit beiden Händen am Griff gepackt, so dass die geschwun-gene Klinge seitlich von ihr auf den Boden zeigte und ihre schnellen, aber schleichend aussehenden Sprungschritte boten einen furchterregenden Anblick. Gevatter Tods rechte Hand, eine Abgesandte der Hölle im Kampf gegen den Lord des Stahls und des Windes. Und da war die Felswand. Gerade in Sicht. Sie wusste auch schon, wie sie dem Drachen den Rest geben würde. Ihr Abstand zur Wand war perfekt: Kushala Daora musste denken, er könnte nach seinem Angriff auf Lea noch locker hochziehen, oder landen. In Wirklichkeit aber, würde er verschreckt und geschockt und direkt in den Stein krachen. Lea drehte sich um. „Komm nur!“ Kushala zischte näher – zehn Meter, vielleicht weniger. Lea holte nach oben aus. Der Drache war in perfekter Höhe. Level Null. Bierflaschenhöhe, wie es so schön hieß. Fünf Meter und gefühlte 100 Kilometer die Stunde. Lea schlug bereits zu. Ein brachialer Hammerhieb, eine luftzerschlitzende Klinge riss auf den Boden zu und traf im richtigen Moment die Schnauze. Lea hatte in ihrer gebückten Position pures Glück gehabt: Ihre Sense durchschnitt den Kopf, blieb im Boden stecken, eine Drachenklaue streifte ihren Rücken, warf sie um, ein Stahlschweif rauschte über sie hinweg, und eineinhalb Sekunden später entstand ein wunderschönes Loch in der Felswand – mit einem toten Drachen drin.
Ben hatte das Fauchen des Drachen gehört und kurz danach das scheußliche Geräusch des Aufpralls gegen die Felsen. Lea hatte es geschafft. Die funkelnden blauen Augen, die er vor seinem inneren Auge gesehen hatte waren erloschen. Kapitel 5 Das Schneegebirge in südlicher Richtung verlassend waren Milly und Will jetzt am letzten Berg der Gebirgskette angelangt und fanden sich jetzt auf einem Plateau wieder. „Ich hab kaum noch Heißgetränke“, beklagte sich Milly. „Mach dir keine Sorgen, wir sind in weniger als einer Stunde hier draußen.“ „Ich glaube nicht.“ Will trat in ein kleines Erdloch, was durch den Schnee kaum zu sehen war. „Hmpf…“ „Hey Will, was würdest du machen, wenn uns hier und jetzt ein… sagen wir, ein Tigrex begegnen würde. Dürften wir den ohne Quest killen?“ „Brauchen wir eine Lizenz zum Spaß haben? Her mit dem Tigrex!“, lachte Will, drehte sich zu Mill um, die gerade ihre leichte Armbrust mit einer Munition mit Nervengift nachlud, und blickte keine vier Meter hinter einen riesigen Tigrex. „Na wo hast du den denn hergezaubert, Süße?“, grinste Will und legte seine rechte Hand über seine linke Schulter, auf den Griff seines Großschwerts. „Extra für dich“, lächelte sie ihm zu, drehte sich dann blitzschnell um, feuerte die Lähmmunition ab und rollte zur Seite, noch ehe der Tigrex sein Kampfgebrüll loslassen konnte. Dann kam gleich der nächste Schuss. Will rührte sich nicht, sondern schaute viel lieber Milly zu. Er würde nicht einen Kratzer von dem Monster bekommen, gleich lag dieser bewegungsunfähig auf dem Boden. Und da kam der dritte Schuss. Der Tigrex fauchte, und zappelte unkontrolliert, bis er zusammenbrach und schwach zuckte. Das Genprey-Nervengift wirkte sogar bei großen Wyvern; allerdings nur vorrübergehend, Will hatte nicht ewig Zeit. Lässig ging er zum Kopf der Bergwyvern. Er zog seine Waffe, schwang sie einmal um die Eisendornen auszufahren und holte weit aus. Sein Hieb zielte nicht auf den Kopf, sondern auf den Hals, wo nach dem gewaltigen Schlag bis zum Halsansatz in regelmäßigen Abständen große, kreisförmige, blutende Wunden klafften. Der Tigrex brüllte und spuckte Blut, Will wich federleicht aus. Die Lähmwirkung ließ bereits nach und der Tigrex suchte wieder stabilen Halt auf seinen vier Beinen. Doch er war bereits sichtbar geschwächt, verlor er doch viel Blut aus seinem Hals – eine sehr empfindliche Stelle. Will befestigte sein Großschwert wieder an seinem Rücken und beschloss für die nächste Minute wieder Milly zuzuschauen. Die Wyvern holte zum Schlag aus und hätte Milly fast mit der Pranke erwischt, doch sie blieb dank eines einfachen Rückwärtshopsers unversehrt; eine Kleinigkeit. Sie schoss wieder eine Salve ab, diesmal mit Schrapnellmunition, deren einzelne Kugeln die Wunde füllten und eine der Vorderläufe verletzten. Das Monster zuckte zurück, fauchte wild und stürmte wild auf Milly zu. Die machte sich nicht einmal die Mühe auszuweichen, sondern feuerte unbeeindruckt die nächste Schrotladung ab, und beobachtete Will dabei, wie er von der Seite auf die Wyvern herjagte und mit einem Ziehangriff aus vollem Lauf den Schwanz des Tigrex auf Anhieb abtrennte. Erschöpft vom Schmerz klappte der Tigrex zusammen und war nicht fähig weiter zu rennen. Milly war sicher. Sie hatte die nächste Munition eingelegt und feuerte eine Craghülse direkt ins offene Maul des Tigrex. Die längliche Kugel blieb dort stecken, es vergingen einige kurze Sekunden, dann erfolgte eine schwache Explosion; stark genug jedoch um den Tigrex wild umher zucken zu lassen. Er hatte sich nicht mehr im Griff, war jetzt schon am Ende. „Das wird langweilig, mit diesen Tigrex‘! Den nächsten mach ich allein, Mill!“, rief Will und ließ einige Rückenknochen der Wyvern splittern, bevor er eine Tatze abschlug. Milly hatte jetzt eine billigere Munition eingelegt, da sie den frühen Tod des Tigrex voraussah. „Von mir aus. Aber wenn wir was Großes im Ödland finden, lässt du mich das machen!“ Drei weitere Schüsse, die Kugeln durchbohrten die Brust der Bergwyvern und rissen die Haut auf; das Monster starb. „Schwächling. Hält nichts aus!“, beklagte sich Will. „Sollen wir was mitnehmen?“ „Lass nur. Die Materialien mitzuschleppen wird zu aufwändig. Vielleicht findet ja ein glücklicher Jäger den Kadaver und kann ihn sich zu Nutze machen. Wir sollten weiter.“ Will kehrte dem Tigrex den Rücken zu und marschierte weiter. Mill folgte ihm schweren Herzens angesichts des Vermögens, dass sie verschmähten. Am Ende des Plateaus eröffnete sich ein Abgrund und mit ihm der Blick auf endlose verschneite Wälder, weiße Wipfel, vereiste Seen, und noch mehr Schnee. Und eben eine steile Schlucht, ein Abhang, beinahe senkrecht. „Letzte Hürde, Mill. Hier kommt noch eine kleine Kletterparty auf uns zu.“ Sie seufzte. „Keine Höhle oder so?“ „So geht’s am schnellsten. Na komm!“ Behände schwang er sich hinab, hielt sich mal hier mal dort fest, sucht mit den Füßen Halt, schaute nie auf den Boden, sondern immer auf das terrain direkt unter seinen Füßen und kam insgesamt recht zügig voran. Milly hatte extra ein Seil mitgenommen, fand aber keinen Baum oder etwas in der Art, wo sie es hätte festmachen können. Vielleicht weiter unten. Also tat sie es Will nach und begann bergab zu klettern. „Remobra!“, rief ihr Will von unten zu. Na toll, wie sollte sie mit beiden Armen nach festen Vorsprüngen suchend ihre Waffe bedienen? Will versuchte einhändig die kleine Flugwyvern zu vertreiben, aber es war offensichtlich zu schwierig. Milly suchte nach einer Stelle, von wo aus sie schießen konnte und erspähte einen größeren Vorsprung weiter unten. Sie musste noch ein Stück weiter klettern, erst dann konnte sie etwas ausrichten, aber der Remobra war nicht allein und sein Artgenosse hatte sie auch schon erblickt.
Lea rannte sofort zu Ben zurück. „Ben!“ Das letzte, was sie mitbekommen hatte, war, wie er regungslos mit geschlossenen Augen im feuchten Gras lag. „Ben!“ „Lea…“ kam es leise zurück. Tiefe Erleichterung erwärmte sie, aber sie beschleunigte trotzdem ihr Tempo bis sie bei ihm war. „Du lebst!“ „Ja… Er ist tot?“ „Ja, er ist Geschichte. Kannst du sitzen? Oder stehen?“ „Vielleicht…“ Ben versuchte sich aufzusetzen, was er auch schaffte, aber es schmerzte ihn, der Ab-sturz vom fliegenden Drachen, war einfach zu hart gewesen. Ob er es auch schaffte zu laufen? Er stand auf und versuchte einige Schritte. Dann nickte er langsam. Lea nickte ebenfalls. „Gut, mehr, als ich gehofft hatte. Du siehst besser aus, als ich dich im Gebirge aufgelesen hatte.“ „Da war ich bewusstlos“, sagte Ben trocken. „Können wir den Kushala ausweiden?“ „Ja vermutlich schon. Besser wäre es aber, wenn er von der Gilde ins Dorf transportiert würde. Hätten wir einen Wagen dabei, würden wir es selber tun. Aber so können wir einfach zurückgehen und in Pokke Bescheid sagen, dass sie ihn für uns abholen.“ „Klingt gut.“ „Dann kannst du dir mal eine richtige Waffe machen lassen. Oder eine Rüstung.“ „Ja… lass uns schnell zu dir nach Hause gehen, ich sollte mich ausruhen.“ „Ja, aber… natürlich.“ Die ersten paar hundert Meter stützte Lea Ben, doch dann sagte er plötzlich: „Lass mal kurz, vielleicht geht es auch so.“ „Bist du sicher? Du hättest deinen Sturz sehen müssen.“ „Ja, ich bin sicher.“ Sie ließ ihn los. Ben lief weiter. Es funktionierte. „Es tut nicht mehr so schlimm weh…“ „Machst du Witze? Wieso denn nicht?“ „Keine Ahnung. Hey, meine Wunde am Arm ist auch schon zu!“ „Welche Wunde am Arm?“ „Als der Daora dieses Weiße Zeug abgefeuert hat, diesen Eis-Wind-Stoß.“ „Ja?“ „Da wurd‘ ich umgeworfen und ‘ne Menge Dreck kam auf mich zugeflogen.“ „Und hat deine Haut aufgeschürft.“ „Genau, ein paar Steine haben auch eine tiefe Wunde verursacht. Und die ist schon fast zu.“ „Was?“, rief Lea entgeistert. „So schnell kann das gar nicht heilen!“ „Ich weiß, wie die Wunde vorher aussah. Und so sieht sie jetzt aus.“ Er krempelte sich den Ärmel hoch und zeigte Lea seinen Arm, an dem eine kleine Schramme war, um die getrocknetes Blut klebte. Lea starrte ungläubig darauf. „Wie kann das sein? Die Wunde kann gar nicht tief gewesen sein.“ Ben ging wieder weiter. „Wie auch immer: Ich kann wieder fast normal laufen. Lass uns jetzt gehen.“ Lea ging ebenfalls weiter. „Zu Hause muss das auf jeden Fall gereinigt werden.“
Thema: Re: Die allmächtige Waffenkammer Fr 6 Nov - 20:50:06
Spät in der Nacht kamen sie schließlich in einem leergefegten Pokke an. Die Stille der Nacht wirkte in dem Dorf, in dem kein Licht brannte, noch unheimlicher. Sie gingen zügig, Ben wieder vollkommen normal, zu Leas Haus. Sie schloss auf. Lea betrat das Haus, entzündete den Kamin und aß einige ihrer gesund aussehenden Rationen. Ben nahm sich ebenfalls welche. Lea sah sich noch einmal die Wunde an. „Oben sind Tücher. Ich hol gerade einen Eimer und koche Wasser aus.“ Ben stapfte die Treppen hoch und Lea betrat eines der Zimmer, welche zum Hang östlich von Pokke zeigte. Ein Vorhang bewegte sich. Lea hielt inne. Hier drin war die Luft auch etwas kühler. War das Fenster offen? Sie bewegte den Vorhang zur Seite, aber das Fenster war zu. Doch es sah anders aus. Auf Höhe des Griffs war am linken Rand ein Kreis. Lea berührte die Kreisfläche und die ausgeschnittene Glasscheibe fiel heraus ins Gras. „Ach du meine Güte“, flüsterte sie. Es war eingebrochen worden. War noch etwas im Haus anders? Wer hatte eingebrochen? Lea drehte sich um, sah einen Eimer auf dem Boden und nahm ihn mit. Dann musste sie das wichtigste wissen: War etwas gestohlen worden. „Ben?“, rief sie. „Ja?“ kam es dumpf von oben. „Sind noch alle Waffen in meinem Zimmer?“ Es vergingen einige Sekunden, Fußstapfen, dann Bens Stimme: „Zwei Sensen.“ Und die dritte hatte sie noch. Okay, Waffen fehlten keine. Rüstungen würde man nicht klauen, die passten nur Lea. Sonstige Wertgegenstände hatte sie nicht. Fehlte etwa…? Sie hastete zurück ins Wohnzimmer und wusste genau welches Bodenbrett sie anheben musste. Sie trat auf das eine Ende des Bretts, das andere hob sich, und sie hielt es fest und hebelte es komplett weg. Der kleine Steinsave war geschlossen, aber nicht verschlossen. Sie öffnete ihn und fand… nichts. Kein Pergamentfetzen. Er war gestohlen worden und im gleichen Moment wusste sie von wem. Jahre war es nun schon her, seit sie, damals hieß sie Jill von einem Jägerpaar aufgelesen worden war. Sie waren auf einer Mission gewesen, eine Waffenkammer aus der Antike zu suchen, mit Waffen, von denen man heute nicht mehr wusste, aus was sie überhaupt bestanden. Mächtige Waffen, mit einer einzigen könnte man die Welt unterwerfen. Jill war am Anfang ihrer Jägerlaufbahn gewesen und neugierig. Sie ließ sich von dem Jägerpaar, ein Will und eine Milly, überreden mitzukommen und diese Waffenkammer zu suchen. Doch nach und nach entdeckte sie die wirkliche Mentalität ihrer damaligen Kollegen. Sie waren böse und weideten sich am Anblick leidender Monster. Sie würden kaltblütig sein, sollten sie tatsächlich diese Waffen finden. Ohne mit der Wimper zu zucken, würden sie jeden umbringen, der gegen sie war. Sie trennte sich von ihnen und zog nach Pokke, unter einem neuen Namen, nämlich Lea, und zog in ein Haus, das einmal ihrer Familie gehört hatte und leer stand. Und durch einen glücklichen Zufall war das Haus genau auf einem der Hinweise zum Weg zur Waffenkammer gebaut worden. Sie schützte ihn und behielt ihn im Auge. Ohne den Hinweis würden Will und Jill nie die Kammer finden. Dummerweise zogen die beiden einige Monate später ebenfalls nach Pokke. Aufgrund seines besseren Könnens wurde Will erster Jäger im Dorf und Lea nur Nummer zwei. Milly war freigestellt, was sie jagen konnte.
Und jetzt war er gestohlen worden. Sie mussten herausgefunden haben, wo sich der letzte Hinweis, den sie brauchten, befand. Auf ihrem Hinweis war ein Vulkan abgebildet. Vermutlich waren die beiden auf dem Weg dahin. Mit halber Aufmerksamkeit nahm sie wahr, wie Ben ihr den Eimer abnahm, Wasser kochte und seine Wunden reinigte. Er brauchte nicht lange. Unvermittelt fragte sie ihn: „Ben, bist du müde?“ Ben schaute sie verdutzt an. „Geht so. Könnte jetzt noch nicht schlafen.“ Lea kramte ein paar Rationen zusammen, schnappte sich ein paar Geldbeutel, befestigte wieder ihre Waffe an ihrem Rücken und schaute Ben wieder an: „Gut, wir müssen los. Mach dich fertig, ich sag dir alles auf dem Weg! Und nimm eine Waffe mit.“ „Ich hab keine!“ „Ich kauf dir einen Hammer, nur pack alles, was du für eine lange Reise brauchst!“ „Hat die Schmiede um die Zeit nicht zu?“ „Frag nicht, pack! Ich hol dir deinen Hammer.“ Lea stürmte aus der Haustür und rauschte zur Schmiede. Keine Lichter. Verschlossene Türen. Sie hämmerte mit ihren Fäusten an die Tür. „Aufmachen, aufmachen, aufmachen!“ Innen polterte es, dann hörte sie ein Schnauben, und was für ein wütendes, bis endlich die Tür aufgerissen wurde. Der Schmied, ein angegrauter, stattlicher Mann mit schiefem Gesicht und Vollbart funkelte sie an. „Was zum Teufel willst du?! Jetzt?!“ Lea versuchte ruhig zu bleiben. „Einen Hammer. Jetzt!“ „Jetzt?!“ „Jetzt!“ Der Schmied stöhnte. „Nie wieder kommst du um so eine Zeit, verstanden?“ „Ja, verstanden. Gib mir jetzt einen Hammer!“ „Welchen, verdammt! Ich war grad seelenruhig am pennen!“ „Einen guten für …“ Sie suchte einen ihrer Geldbeutel raus. „…soviel!“ Missbilligend schnappte sich der Schmied den Geldbeutel aus ihrer Hand, ohne den Blick von ihren Augen zu wenden. „Komm mit rein“, seufzte er. Lea drängelte sich gleich hinein und ließ den Blick über die großen Regale schweifen auf der Suche nach einer geeigneten Waffe für Ben, während der Schmied das Geld zählte. „Dafür kriegst du schon eine hübsche Waffe“, meinte er. „Welche bloß?“, murmelte Lea. Der Schmied hörte es. „Ich gebe dir die hier.“ Er marschierte auf ein Regal weiter hinten zu und kam mit einer riesigen Axt zurück. Der Griff war ein Hybrid aus Holz und Metall, lang und dünn, fast, wie bei einem Langschwert, aber die Schneide der Axt bestand aus schweren, aber scharfaussehenden, orangefarbenen Knochen. „Das ist eine Axt. Ich suche aber nach einem Hammer“, meinte Lea leicht belächelnd. Der Schmied wirkte ärgerlich. „Sie führt sich wie ein Hammer. Das Gewicht ist dasselbe. Das Baby hier ist zwar noch nicht komplett fertig, aber es sollte schon Wyvernschädel spalte können!“, meinte er stolz und strahlte die Riesenaxt an. Na gut, es musste ja schnell gehen. „Ich nehme sie!“ Der Schmied hatte sein Geld schon und Lea nahm ihm bloß diese Hammerimitation ab. Den Hammer wie eine heiße Kartoffel tragend, flitzte sie zum Haus zurück und fand Ben in seiner leichten Rüstung und einem prall gefüllten Rucksack wieder. „Hier, das wird deine Waffe sein. Hoffentlich kannst du mich bald zurückbezahlen.“ Sie grinste. Und er starrte mit offenem Mund auf die Knochenaxt. „Wow!“, hauchte er und ging ehrfürchtig auf den Hammer zu und nahm ihn Lea sanft ab. „Das Ding sieht toll aus! Und ich kann es echt haben?“ „Du wirst es vielleicht brauchen. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren!“ „Bei was denn überhaupt?“ „Auf dem Weg, ich sag dir alles auf dem Weg! Wir müssen jetzt einfach nur los.“ Sie sicherte den Halt ihrer Sense auf dem Rücken, füllte ihren Beutel mit Rationen und Heißgetränken, tat noch eine weitere Blitzbombe hinzu, nahm ihn unter den Arm und bedeutete Ben das Haus zu verlassen. Sie schloss die Tür und beide standen wieder in der Nacht, zum Aufbruch bereit.
„Verschwinde, Biest!“, zischte Milly dem Remobra zu, doch der spuckte nur verächtlich Gift gegen den Abhang, verfehlte sie aber um Längen. „Mill, ich brauche hier wirklich mal deine Hilfe!“, schnappte Will von unten zu ihr hoch. „Ich erwische die nicht richtig!“ „Ich auch nicht! Wenn ich da runter kommen könnte…“ Hoffnungsvoll deutete sie wage auf einen Felsvorsprung. „Da müsste ich schießen können.“ „Dann mach, dass du da hinkommst, die reißen uns hier noch runter!“ Will schlug gerade mit der bloßen Faust auf einen Remobrakopf, der gefährlich nahe seiner Schulter gewesen war und nun in einen leichten Trudelflug übergehen musste, sich jedoch wieder fing und einen erneuten Angriff startete. „Mill!“ Sie biss die Zähne zusammen, wurde sich ihrer jetzigen Position vollständig bewusst und schloss für einen Moment die Augen. Ein Remobrafauchen flammte hinter ihrem rechten Ohr auf. Einfach tun! Jetzt. Sie stieß sich ab. Verlor Kontakt von der Felswand. War frei, frei von jeder Sicherheit! Über Hundert Meter ging es in die Tiefe und sie ließ sich fallen. Doch sie riss die Arme in die Höhe. „Mill!“, brüllte Will in Panik. Alles war verlangsamt. Einen Herzschlag lang sah es wie ein blinder Selbstmordversuch aus. Will machte sich bereit Milly irgendwie aufzufangen. Aber Milly hatte es nicht auf Selbstmord angelegt, sie hatte den Remobra von rechts kommen hören und im richtigen Moment nach dessen Klauen gegriffen. Will wusste, das war riskant. Die Klauen sind nicht klein, könnten sie verletzen. Aber was für eine gute Chance auf diesen verdammten Felsvorsprung zu kommen! Milly hielt sich mit beiden Hand an einer Klaue fest, was ein Fehler war, denn jetzt konnte der Re-mobra sie ein bisschen mit dem freien Fuß kratzen. Doch die Situation, in der sie sich befand, war alles andere als gut. Sie hing an einem Remobra, mitten in der Luft; richtig Kontrolle, wo die Reise hinging, hatte sie nicht wirklich. Die Wyvern entfernte sich etwas von der Felswand, versuchte Milly irgendwie loszuwerden, doch sie hielt sich gut fest und ihr komplettes Gewicht samt Ausrüstung und Waffe war nicht zu vernachlässigen. Der Remobra sackte ein gutes Stück weit ab, viel weiter als geplant. Er gab sich zwar alle Mühe in der Luft zu bleiben, doch sein Körperbau war nicht auf größere Lasten ausgelegt. Remobras töteten zwar aus der Luft, doch ihre Beute wurde immer vor Ort verspeist und nicht etwa zu einem Nest getragen. Die Felswand raste an ihr hoch, irgendwo musste sie eine geeignete Stelle finden, um gut stehen und schießen zu können. Will kämpfte den Kampf gegen Windmühlen. Richtig schaden konnte er den Wyvern nicht, da sie nah an ihn heran kamen, versuchten zu schnappen, was sie konnten, und wieder abdrehten. Es war schwierig die jetzige Haltung beizubehalten, ohne abzurutschen, oder aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden. Will wollte nicht nach unten schauen, wollte auch nicht sehen, was mit Milly passiert ist, die nicht unbedingt langsam nach unten gesegelt ist – mit ihrem lebendigen Fallschirm. Wieder dieses Zischen hinter ihm. Remobras, wie fliegende Schlangen mit großen, gebogenen Gift-zähnen, die aus dem annähernd dreieckigen Kopf ragten und ihn bedrohlich entgegen funkelten, dann diese zu Schlitzen verengten Augen, dieser glatte Hals, generell dieser schwarz geschuppte Körper, diese blutroten Flügel. Das alles wäre nicht halb so furchterregend, wenn es nicht ein ganzes Rudel darauf angelegt hätte, Will von dieser verfluchten Felswand zu zerren. Dann fühlte er es. Zwei zielgenaue Klauen auf seinen Schultern, die plötzlich zupackten. Irgendwie versuchte er hinter sich zu schauen und entdeckte nur zwei große, weinrote, lederne Flügel, die verzweifelt versuchten, genügend Kraft aufzuwenden, ihn von der Felswand zu zerren. Er spürte, wie seine Finger langsam aber sicher vom Gestein abglitten. Millimeter um Millimeter. Schweiß rann von seiner Stirn, bildete sich auf seiner Hand. Okay, dann Planänderung. Vielleicht gelang ihm ja etwas Ähnliches wie Milly. Verdammt, das kostete eine Menge Überwindung, sich vollkommen frei von einer Senkrechten möglicherweise in den Tod stürzen zu lassen. Aber was blieb ihm übrig. Er warf sich nach hinten, drehte sich im Sprung, drehte den Remobra allerdings mit und… Sah direkt vor seiner Nase eine Rauchfahne hochzischen, die den Remobra am Kopf traf und sofort tötete. Gut gezielt, aber leider den schlechtesten Zeitpunkt erwischt. Will fiel. Mit den Füßen voran. „Kein guter Schuss Mill. Lebe wohl“, flüsterte er sich selbst mit einem Anflug von Selbstironie zu, während er stetig an Geschwindigkeit zunahm und die Felswand hinunter raste. Er sah Milly, versuchte zu lächeln, die halbe Sekunde, die er sie sehen würde, aber der Fahrtwind verbog es zu einer Grimasse. Kein Abschied nehmen? Küsschen? Irgendetwas? Einfach an ihr vorbei rasen und tot aufkommen? Naja, er würde wenigstens weich landen. Unten war ein sehr großer Haufen Moos. Ein wirklich riesiger Haufen. Zumindest sah es aus wie Moos. Und weich. Will würde es in der nächsten Zehntelsekunde heraus-finden. Der Aufprall tat verdammt weh, aber Will schien es zu überleben und keine größeren Verletzungen davonzutragen. „Will!“, schrie Milly. Sie hatte es geschafft auf einen Vorsprung zu kommen und ihren Remobra zu töten. Eigentlich war es einfach gewesen. Risikoreich, aber es ging verdammt schnell. Dann hatte sie mit ihrem Zoom-Zielfernrohr auf den Remobra gezielt, der versucht hatte Will von der Felswand zu reißen, aber einen Moment zu spät abgedrückt; erst als Will mitten in der Luft hing. Sie wusste auch, was da unten schlummerte. Dass es sich um keinen Fall um einen Haufen voll Moos handelte. Naja, vielleicht teilweise, aber sie wusste jedenfalls, dass dieses Moos schweben konnte und mehrere riesige Tentakel hatte. Und vor allem ein gigantisches Maul. Ganz einfach, dass es lebte. Und dass Will sich darauf befand. „Hätten wir keinen Wagen, oder Pferde nehmen können?“ „Nur bei leichten Waffen, Ben. Bei deinem Hammer wären sie zusammengebrochen.“ „Naja, ich breche nicht zusammen.“ „Dann warte deinen ersten Kampf ab!“ „Wann sollte der sein?“ „Wenn wir angegriffen werden?“ „Von wem? Wir haben keine Quest.“ „Aber wir müssen uns natürlich verteidigen, wenn uns etwas angreift.“ „Oder jemand.“ „Oder jemand, stimmt.“ „Und was passiert, wenn wir etwas töten, was gerade ein anderer Jäger erjagen wollte?“ „Dann hat er Glück gehabt, dass wir ihm geholfen haben und er trotzdem alles Geld für die Quest allein kassiert.“ „Wie weich ich eigentlich Angriffen aus?“ „Voraussehen und ausweichen.“ „Ha, ha. Nein, wie weich ich mit dieser Großaxt aus? Wie?“ „Ich kämpfe nie mit dem Hammer. Einfach ausprobieren.“ „Und dabei umkommen?“ „Vielleicht. Werden wir ja dann sehen.“ Ben schnaubte. „Welch hilfreiche Antwort“, sagte er gedehnt. „Ich kann dir nicht helfen. Ich weiß, du kämpfst noch nicht lange, aber Übung macht den Meister und es gibt einfach kein Erfolgsrezept zum Gewinnen.“ „Vielleicht hast du Recht.“ Lea schwieg. Seit sie Pokke verlassen hatten – zu Fuß – redeten sie miteinander, und das, obwohl sie in einem sehr zügigen Tempo liefen. „Ich habe noch nicht einmal eine Rüstung“, bemerkte Ben. „Wie kann ich dann kämpfen?“ „So, wie du kämpfen würdest, als hättest du eine.“ „Aber das ist doch viel zu gefährlich!“ „Trau dich etwas!“ „Was du sagst macht keinen Sinn. Es ist bestenfalls lebensgefährlich.“ „Nicht bestenfalls. Der beste Fall ist als heldenhafter Jäger gefeiert zu werden.“ Ben schaute sie konsterniert an. „Ich bin noch kein voll ausgebildeter Jäger. Darauf solltest du Rück-sicht nehmen.“ „Du hast dich aber sehr gut gegen einen Kushala geschlagen!“ „Komplett ohne Waffe…“ „Vielleicht brauchst du deinen Hammer gar nicht.“ „Man kann ja nie wissen, was?“, sagte Ben und grinste. Er wollte die Laune wieder etwas heben. „Wie lange brauchen wir eigentlich noch?“ „Bis wohin?“ „Bis wir aus dem Gebirge raus sind.“ „Das dauert noch. Wir müssen zwar nur einen Berg überwinden, aber das braucht etwas Zeit.“ „Wieso, ist der so steil?“ „Gar nicht mal. Aber am Schluss gibt es als einzige Möglichkeit eine nahezu senkrechte Felswand, um die Berge hinter sich zu lassen.“ „Senkrecht? Wie soll man da runterkommen?“ „Klettern, was sonst?“ „Was?“ „Ja, klettern. So, wie Will und Mill auch.“ „Wer?“ „Ich hab dir nicht von ihnen erzählt?“ „Nein.“ „Die beiden sind der Grund, weswegen wir losgelaufen sind.“ „Ach?“ „Genau. Es sind auch Jäger, wie wir, nur Will ist der erste Jäger im Dorf. Die Quests der Chefin gehen immer erst an ihn. Nur er war beim Kushala Daora nicht da…“ sagte sie lahm. Langsam ging ihr ein Licht auf. Alles war geplant gewesen. Sie wurde wütend. „Aber hast du nicht gesagt, es war bekannt, dass er noch Wochen weg sein wird? Wieso verfolgen wir ihn dann?“ „Er hat alles geplant!“ „Was geplant?“ „Den Einbruch.“ Ben schaute sie fragend an. „Bei mir wurde eingebrochen. Von Will, nehme ich an. Von beiden, Will und Milly. Sie haben etwas sehr Wertvolles gestohlen. Nicht von materiellem Wert, es war nur ein Pergamentfetzen. Doch darauf war etwas gezeichnet, eine Art Landkarte. Zumindest ein Teil davon, es war ja nur ein Fetzen.“ „Was ist an einer Landkarte so wertvoll?“ „Darauf ist ein Weg eingezeichnet, ein Pfad zu etwas. Ich glaube zum Vulkan.“ „Zum Vulkan?“ „Genau, dahin verfolgen wir sie.“ „Was soll am Vulkan sein?“ „Vielleicht wieder nur ein Fetzen, wer weiß?“ „Aber es muss ja ein Ziel geben! Die Fetzen sind ja nicht sinnlos. Woher kommen die überhaupt?“ „Will und Milly haben viele gefunden, als sie freie Jäger im Land waren. Also bevor sie sich für festes Gehalt in Pokke verpflichtet haben. Von einem Beduinen in der Wüste haben sie erzählt bekommen, dass die Landkarte den Weg zu einer Waffenkammer zeigt. Eine Wahnsinnswaffenkammer! Mit antiken Waffen, jede einzelne mächtiger, als alles, was bisher hergestellt wurde. Waffen, mit denen man die Welt unterwerfen könnte.“ „Was nützen einem tolle Waffen, wenn man einem bessern Kämpfer gegenübersteht?“ „Will und Mill sind verdammt gute Kämpfer. Mit den Waffen wären sie unbesiegbar!“ „Ich halte das für Quatsch. Man kann nicht alleine die Welt unterwerfen.“ Lea blieb stehen und sah Ben eindringlich an, packte ihn beim Revers und zischte: „Du hast absolut keine Ahnung, in welche Materie du dich hier hineinbegibst. Du weißt nicht, wozu man mit dem richtigen Werkzeug fähig ist! Auf keinen Fall dürfen wir riskieren, dass die beiden diese Kammer jemals finden, dass überhaupt jemand diese Kammer findet. Aus diesem Grund habe ich diesen Pergamentfetzen in meinem Haus aufbewahrt.“ Sie ließ ihn los. „Hey, letztendlich ist es mir egal, warum ich mit dir mitkomme. Solange ich mit meiner neuen Waffe kämpfen kann.“ „Tolle Einstellung, muss ich wirklich sagen. Es wird vielleicht auch zum Kampf gegen Menschen kommen. Gegen Will und Mill, genauer gesagt.“ „Wirklich? Aber du hast gesagt, das sind gute Kämpfer?“ „Wir müssen es eben darauf ankommen lassen.“ „Das nenne ich eine tolle Einstellung“, grinste Ben. Sie blieben stehen. Ab hier ging es bergauf. „Wow, der ist aber hoch“, staunte Ben. „Wir gehen nur bis zur Schneegrenze. Da sind wir schon recht nah dran, eigentlich.“ „Hmm, wird kalt.“ „Jap.“ Lea ging weiter. Ben nahm sich eine Ration, und fing an zu joggen. Lea schaute ihn fragend an, als er an ihr vorbeikam. Ben grinste nur und rief ihr zurück: „Dann brauch ich vielleicht kein Heißgetränk.“ Lea musste lachen. Aber ihr gefiel der Anblick. Auch sie beschleunigte ihr Tempo, bis sie ins joggen überging. Es war schlichtweg entspannend. Der monotone Rhythmus des Ein- und Ausatmens, die Stiefel auf der Erde, das Klappern der Waffen. Es war anstrengend, für beide etwa gleich – Lea hatte eine Rüs-tung an, und Ben die große Axt. Nur miteinander reden war zu anstrengend geworden. Nach etwa einer halben Stunde lag bereits Schnee im Gras versprüht. Nach einer weiteren halben Stunde war der Schnee kniehoch, und das Vorankommen wurde er-schwert. Nach noch einer halben Stunde müden Kriechens, wurde der Himmel leicht violett. „Wahnsinn. Ein Sonnenaufgang in den Bergen!“, hauchte Ben erschöpft. „Können wir mal Pause machen?“ Auch Lea schnaufte. „Ja, okay. Lass uns nur mal Schnee wegfegen…“ Grob sorgte sie für einen knapp drei Quadratmeter großen, schneelosen Kreis aus nassem Gras. Sie breitete eine Decke aus, und setzte sich. „Komm. Die wird nur von einer Seite nass.“ Ben legte sich auf den Rücken und starrte gedankenverloren in den Himmel. „Wahnsinn“, wiederholte er. „Sieh nur, diese Farbe!“ Die Veränderung wurde deutlich sichtbar. Mit der langsam verstreichenden Zeit, während die zwei rasteten, wechselte das violett ganz langsam in ein zerbrechliches, rosiges Orange. Jede einzelne Wolke bildete eine bizarre Form für sich, wie ein weiteres Gebirge hoch im Himmel. Die Konturen und Schattierungen des Orange hätte man fast für Erde und Gestein halten können. So greifbar, aber so unendlich weit weg… Eine Weile lagen beide einfach nur auf dem Rücken und blickten seelenruhig die Wolken an, vergessend, dass ihnen kalt war, dass sie Hunger bekamen, dass sie zwei Verbrecher jagten. Bis ein Windhauch einen kleinen Schneeball in Bens Gesicht trug. Erschreckt richtete er sich auf und wischte sich das Nasenbein. „Baah.“ Lea erhob sich auch langsam. Irgendwie musste sie gähnen. „Wenn wir den Tag durchreisen, dann haben wir eine Nacht Schlaf ausgelassen. Bist du an so etwas gewöhnt?“ „In Shezel musste ich nächtelang durcharbeiten, wenn für den nächsten Tag Sandsturmwarnungen vorlagen.“ „Das ist gut. Dann kann ich ja reinen Gewissens darauf bestehen, weiterzuziehen.“ „Sicher kannst du das“, brummte Ben. „ich bin aber trotzdem müde. Und du kannst mir nicht erzäh-len, dass du nicht auch gerne Schlafen würdest.“ „Wir können nicht, wir müssen Will und Milly verfolgen.“ „Aber du würdest gerne!“ Lea lächelte ihn an. Ben grinste zurück. „Na los, gib‘s zu!“, lachte er und piekte Lea in die Seite. „Gib’s zu. Mach schon!“ „Schon gut, schon gut!“, lachte sie ebenfalls. „Ja, ich würde liebend gerne schlafen. Aber es hat keinen Sinn. Wir holen die beiden nie ein. Die brauchen noch weniger Schlaf als wir.“ Ungerührt rollte Ben die Decke zusammen. „Sonst wäre die ganze Sache ja auch nicht spannend.“ Sie packten fertig und zogen weiter. Das stumme Liegen hatte beiden etwas Kraft gegeben, aber dennoch kamen sie nur langsam voran, der Berg war zwar nicht besonders Steil, aber die schwere Morgenluft drückte auf ihre Lungen, zweimal rutschte jeder auf einer verborgenen Eisplatte aus, drei Kaltgetränke pro Nase wurde verbraucht und irgendwann kamen sie auf einen Bergpfad. „Der kommt von den anderen Bergen. Felyne haben ihn einmal durch das gesamte Furahiyagebirge geführt. Er ist halbwegs sicher, aber die Regionen sind es nicht immer. Man sollte sich nicht zu dem Glauben verleiten lassen, wo ein Pfad ist, ist das Wandern einfach.“ „Verschluck dir nicht die Zunge.“ „Was?“, Lea sah ihn verständnislos an. Dann musste sie grinsen. „So, ich langweile dich mit meinen Vorträgen.“ „Nein, überhaupt nicht. Erzähl immer weiter, und weiter… und weiter“ Ben gähnte. Und Lea wusste nicht, ob das Gähnen künstlich oder echt war. „Da sind Fußspuren“, bemerkte Ben. Ohne stehenzubleiben sah Lea auf den Boden. „Stimmt. Das sind sie. Wir sind auf dem richtigen Weg.“ „Und was sind das da für Spuren?“ Ben deutete auf eine zirka zweifußdicke durchgehende Linie eingedrückten Schnees, an deren Seite immer wieder riesige Abdrücke von Krallen den Hang entlang verteilt waren. Die Spur zog sich von der Bergseite solange bis zur Talseite, bis sie den Pfad erreichte, ab dann schlängelte sie sich mal vom Pfad, dann wieder drauf und zur anderen Seite runter, verfolgte aber grob genau die gleiche Richtung, wie Will und Millys Spuren. „Verdammt.“ Lea blieb stehen. „Was?“ „Das sind Tigrexspuren. Ich bin nicht ausgeschlafen genug für einen Kampf gegen einen Tigrex.“ Ein Tigrex?, dachte Ben. Die Kampfwyvern schlechthin? Ihn zu erlegen ist eine echte Härteprüfung für einen Jäger. Nie und nimmer wollte er jetzt einem Tigrex gegenüberstehen. „Hilft nichts, wir müssen weiter. Komm!“ Ben packte sie sanft am Ärmel und zog. Sie lief weiter. Plötzlich trat ihnen ein Gestank in die Nase. Beißend und blutig. „Uaargh. Was ist das?“ „Das ist Wahnsinn. Ich glaube ich weiß, was passiert ist.“ Lea beschleunigte ihr Tempo. Sie ver-schwand um eine Biegung des Pfads. Ben folgte ihr und fand sich auf einem Hochplateau wieder, wo sich ihm ein unglaublicher Anblick bot. Ein Tigrexkadaver. Lea war schon bei ihm. „Komm, sieh dir die Wunden an, dann weißt du, wozu Will mit seinem Groß-schwert fähig ist!“ Ben folgte ihr und stand nun direkt vor der toten Wyvern. Entlang des Halses befanden sich faustgroße Löcher, die bereits ausgeblutet waren. Der Schnee darunter war schwarz und, vor allem, rot. Der Kopf war rußig und Teile des Kiefers fehlten einfach. Ein Tatze lag etwas abseits des Körpers, die andere hing lose, nur durch einen Sehnenfetzen verbunden, an der Vorderläufe. Entlang des Rückens war die Wirbelsäule gebrochen oder zersplittert, der Schwanz war ebenfalls abgehackt. Die Hinterbeine wiesen entlang der kompletten Schenkel Risse auf, dick, wie ein Zeigefinger lang war, und mindestens zwei Fuß lang. „Du meine Güte…“, hauchte Ben. „Das ist… grausam!“ „Hmm“, machte Lea. „Offenbar wurde ihm langweilig und er hat es schnell beendet.“ „Schnell beendet? Das Vieh hier sieht aus, als hätte es monatelang nur durch Blutmangel gelitten.“ Lea machte eine wegwerfende Handbewegung. „Hätte Will Zeit und seinen Spaß haben wollen, dann wären sämtliche Körperteile – Klauen, Tatzen, Schenkel, Oberkörper, Unterkörper, Kopf, Schwanz, Schwanzspitze – über dem gesamten gebiet verteilt. Wie ein großes Puzzle.“ „Das ist einfach…“ „Was?“, unterbrach sie ihn. „Widerlich? Brutal? Anormal? Okay, anormal ist es vielleicht, zugegeben. Aber ist diese Art von Jagd wirklich schlecht?“ „Natürlich ist sie das. Sieh dir das Tier an. Schau es dir an! Zerstückelt, geschändet und aufgerissen. So kann man doch nicht jagen?“ „Wie würdest du denn jagen?“ „So kurz und schmerzlos, wie es geht.“ „Wie kommst du darauf, dass das hier nicht kurz gewesen sein könnte? Vielleicht ging der Kampf keine drei Minuten. Bei solchen Verletzungen an der Wirbelsäule würde man sofort sterben. Waren vermutlich auch die letzten, die Will ihm zugefügt hat. Die restlichen Verletzung hatten lediglich einen Zweck: Entwaffnung. Zum Beispiel die Klaue hier. So ziemlich die gefährlichste Waffe des Tigrex. Ein Hieb kann dich köpfen oder von oben nach unten vierteilen. Hättest du das Risiko in Kauf genommen?“ Wieso war sie auf einmal so aufbrausend, dachte Ben. Lea machte weiter. „Oder der Schwanz. Einmal ausgeholt und zugepeitscht und du liegst ohnmächtig im Gras! Das sind Waffen, Ben. Die Waffen der Wildnis. Monster nutzen sie in der Regel perfekt! Also nutze du deine Waffe auch perfekt, verstanden, Ben? Genau wie Will. Und wie Milly auch, okay?“ So energisch sie auch klang, ihre Stimme zitterte leicht. „Töten, bevor du stirbst. Sterben müssen die Monster sowieso, sorg dafür, dass du der Todesgrund bist und wenn sie leiden – wen kümmert‘s. Entweder sie oder du!“ Sie fiel auf die Knie und vergrub das Gesicht in ihre Hände. Schluchzend fiel sie in den Schnee. Ben eilte zu ihr, legte einen Arm um ihre Schulter und flüsterte mit beruhigender Stimme in ihr Ohr. „Das kann niemals das Los eines Jägers sein, Lea. Niemand sollte mit der Ehre und den Schwächen eines anderen spielen, auch wenn es die von Monster sind. Dieser Tigrex hat vielleicht noch gar kein Leid für die Menschen verursacht. Er war vielleicht einfach nur ein Tier hier im Gebirge. Du musst nicht so wie Will und Milly sein. Schau doch, was aus ihnen geworden ist. Sie suchen Waffen um die Welt zu unterwerfen. Aber du bist nicht wie sie. Also musst du auch nicht wie sie kämpfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es immer falsch ist, unnötiges Leid hervorzurufen, auch bei Tieren. Ein gut gezielter Hieb auf den Kopf hätte doch gereicht, oder Lea? Und hätte der nicht weit weniger Schmerzen verursacht, als diese sinnlosen Verstümmelungen?“ Lea schluckte kurz. Es war irgendwie verkehrt herum. Sie war schon so lange Jägerin, und nun erklärte ihr ein Neuling, wie sie Jagen musste. Hatte sie wirklich falsch gekämpft? Verabscheute sie nicht auch die Brutalität von Will und Milly? Sie waren eine Zeit lang Partner gewesen. Ihre Gier nach Macht und Stärke hatte sie schließlich getrennt. Dieses sinnlose Metzeln, diese Demonstration der größtmöglichen Schmerzen… War sie nicht auch ein Indiz für den ewigen Machthunger gegenüber anderen, auch gegenüber den Monstern? „Ja. Vielleicht hast du Recht.“ Ben kniete sich neben sie. „Also Lea. Hast du auch mal so gekämpft?“ Nach einer kurzen Pause nickte sie leicht. „Hat dir das gefallen?“ Lea schüttelte kaum merklich den Kopf. „Dann lass uns doch anders kämpfen. Humaner. Weniger qualvoll.“ Es klang so einfach, wenn er es sagte. Er, der Anfänger. „Okay“, flüsterte sie und stand langsam auf. „Lass uns diesen Ort endlich verlassen. Hier liegt meine Vergangenheit im blutgefärbten Schnee.“ Sie drehte sich um und schritt auf das Ende des Plateaus zu. Dort, wo es fast senkrecht nach unten ging. Ben wirkte auf einmal nervös. „Jetzt kommt also das Klettern?“ Er folgte Lea bis zum Abgrund. Sie stand wie angewurzelt da, den Nacken verkrampft, den Blick nach unten gerichtet. „Was ist?“ Schweigen. „Lea?“ Keine Erwiderung. Ben wurde etwas unsicher. War etwas passiert? Er beschleunigte sein Tempo und schloss mit Lea auf. Dann folgte er ihrem Blick. Ungefähr hundertfünfzig Meter unter ihm war ein großer runder Graben. Bis zum Rand gefüllt mit Blut. „Ha! Dem Biest haben wir’s aber gezeigt, was?“ „Du warst großartig, Mill. Wären die Remobras nicht gewesen, dann hätte ich dir mehr helfen kön-nen.“ „So ein Vieh habe ich noch nie zuvor gesehen. Wie heißt es bloß?“ „Hab ich dir doch schon gesagt, ich weiß es nicht! Es scheint nicht von hier zu sein. So groß wie es war, hätte es doch bemerkt werden müssen.“ „Aber es ist doch bloß ein lebendiger Mooshaufen gewesen. Wie kann man den erkennen?“ „Für die Chameleos-Überfälle gibt es auch immer Quests, und die sind nicht nur getarnt, die sind komplett unsichtbar.“ „Stimmt eigentlich“, pflichtete ihm Milly bei. Sie schritten weiter voran, durch einen lockeren Nadelwald, der bald einem traurigen, aber fast endlosen Ödland wich, das sich bis zum Vulkangürtel entlang zog. Ödland, das hieß: Weite, aschgraue Ebenen, kaum Deckung vor dem Wetter und Monstern. Trostlose Eintönigkeit und wenig Möglichkeiten sich zu ernähren. „Wir sollten vielleicht nochmal etwas jagen“, sprach Will nach einer längeren Zeit stillen Schweigens aus. „Was denn? Hier gibt es nichts mehr Großes. Hab zumindest keine Spuren gesehen.“ „So etwas meine ich nicht. Ich dachte an einen Bären oder so etwas. Ich habe Hunger.“ Will lächelte entschuldigend. Prompt rumorte Millys Magen. „Du hast Recht. Lass uns mal suchen.“ Was hieß suchen bei Will und Milly? Will legte sich flach auf den Boden und sog den Geruch des Grases ein. Ein Ohr auf die Erde gepresst atmete er ruhig und gleichmäßig ein. So lag er etwa eine Minute da. Milly hingegen lehnte sich an einen Baum und schloss die Augen. Jedes Blatt, das im Wind rauschte wurde von ihren Ohren aufgesogen. Und noch viel mehr. Unvermittelt, und zeitgleich, schreckten beide hoch, für einen Außenstehenden ohne jeglichen Grund, und sahen sich an. Eine Sekunden vergingen, dann drehten sich beide in dieselbe Richtung. „Etwa zweihundert Meter von hier ist ein Braunbär.“ „Ja, ich habe ihn gehört“, entgegnete Milly. In schweigender Übereinkunft schlichen sie leise, aber recht zügig in die Richtung, in der sie den Bären vermuteten. Nach einer Minute sahen sie ihn. Ohne zu zögern ging Will einige Schritte auf ihn zu. Der Bär bemerkte ihn und trabte auf ihn zu, um ihn zu beschnuppern. Dabei zog er seine Unterlippe nach oben – für Anfänger ein Zeichen das Weite zu suchen, denn das hieß, dass der Bär sich mit dem Besuch nicht wohl fühlte. Will zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er unbekümmert sein Großschwert in den Rücken des Braunbären fallen ließ. Der brach vor Schmerz zusammen und rührte sich nicht mehr. „Wie trage wir ihn?“, fragte Milly. „Zusammen. Noch wird nichts abgetrennt. Wir müssen ihn bloß sehr gut braten und in den nächsten Stunden vielleicht den Magen entfernen, da er sonst von innen zerfressen wird. Ich schlage vor, wir machen das, sobald wir im Ödland sind?“ „Einverstanden.“ Sie packte eine Hinterläufe, Will die andere, und dann schleiften sie ihn durch den Wald. „Schon oft Quests im Vulkan gemacht?“, fragte Milly beiläufig. Sie machten ja nicht immer Quests zusammen. „Naja. Ab und zu. Nicht wirklich oft.“ „Und gegen was?“ „Einmal gegen einen Gravios. Huhuu, am Schluss waren es zwei Drittel Gravios und ein Drittel Mahl-zeit für die Iopreys. Die haben mich nicht mehr rangelassen. Da sind mir bestimmt- zwei bis dreitau-send Zenny durch die Lappen gegangen.“ „Ärgerlich. Meiner war schwarz.“ „Ein schwarzer Gravios?“ „Ja, genau.“ „Erzähl.“ „Er hat etwas Wunderbares von mir zu fressen bekommen.“ Sie grinste hämisch. „Möchte nicht wissen, wie sein Maul von innen ausgesehen hat. Er hatte es mir schwer gemacht, da er ständig den höchsten Punkt gesucht hat. Ich musste immer etwas nach oben zielen. Wenn ich sein Auge treffen wollte, musste ich auf sein Horn zielen. Und sein Feuerstrahl hatte auch ordentlich Tempo drauf. Hätte nicht gedacht, dass er die Schuppen der goldenen Rathian zum Schmelzen bringt. Wurde mir natürlich sofort repariert.“ „Wow, er hat wirklich deine Rüstung getroffen? Warst du etwa zu langsam?“ „Nein, mit Sicherheit nicht. Aber hätte ich denn ahnen können, dass diese verfluchten Remobras genau dann auftauchen, wenn ich noch im Rückstoß meines Schusses bin. Ich dreh mich nach dem Biest um und zack!“ „Was, ein Volltreffer?“ „Nicht ganz. Ich konnte noch etwas zur Seite springen. Aber heiß ist es geworden, am rechten Arm.“ Sie grinste ob dieser Erinnerung. „In Zukunft werden wir wohl gegen Menschen kämpfen.“ „Gegen jene, die an unserer Macht zweifeln, wenn wir an die Waffen gekommen sind?“ „Genau die. Vielleicht zucken sie auch vorher schon vor Angst zusammen.“ Gesprächspause. Stilles Wandern, mit einem toten Bären im Schlepptau. Die Bäume standen nun weniger dicht beieinander. Der Schnee war gänzlich verschwunden, die Luft hatte auch nicht mehr diesen frischen Naturgeruch. Sie biss ein wenig in der Nase, war aber noch nicht unangenehm. Irgendwann standen keine Bäume mehr. Die Erde wurde härter, färbte sich gräulich. Etwas später standen sie mitten in der Einöde. „So, dann lass uns mal den Magen entfernen“, sagte Will, blieb stehen und drehte sich zum Bären um. „Ach und ein Feuer wär auch nicht schlecht. Ich hab Hunger.“ „Ohne Holz?“ „Na klar. Du gibst doch immer mit deiner Munition an, die auf allem brennt“, grinste Will und stupste ihr spielerisch ans Bein, da er gerade kniete. Milly lachte. „Das tut sie, ich zeig‘s dir.“ Sie wählte die richtigen Patronen aus; beinahe Bechergroß und mit einer seltsam halb flüssigen und halb festen Ladung gefüllt. Etwa vier Meter von ihrer jetzigen Position zielte sie auf den Boden und schoss ab. Fast zeitgleich erhob sich eine große Staubwolke, die zusammen mit einem ohrenbetäu-benden Knall in die Höhe stieg und ein kleines brennendes Loch entstand. Will wuchtete den Bären in die Nähe des Lochs und betrachtete die Flammen. Natürlich brannte die nackte Erde nicht. Vielmehr blieb die Hülse stecken und das Gemisch in der Patrone brannte noch. „Sicher, dass das nicht giftig ist?“ „Vollkommen sicher. Eigenkombination.“ „Na dann!“, rief Will gut gelaunt aus und schlitzte den Bauch des Tiers auf. „Gut, den Teil mag ich nicht besonders. Es stinkt immer so.“ Will trennte einige Organe mit einem Dolch ab. Nach und nach nahm er den Unterkörper des Bären aus und entfernte schließlich auch den Magen. Dann hackte er einen Schenkel ab, spießte ihn auf die Dornen seines Großschwertes und befestigte den Griff sicher im Boden. „Hoffentlich ist es schnell durch.“ Will legte sich zurück und beobachtete den ozeanblauen Mittags-himmel. „Was zum Teufel ist das!?“, fragte Ben noch einmal, als sie unten ankamen. „Ich habe so etwas noch nie gesehen. Das Becken ist gefüllt mit Blut. Was sagt uns das?“ „Nicht jedes Bad ist gesund?“ Lea sah ihn schief an. „Hier war etwas sehr Großes. Und vielleicht ist es jetzt tot. Aber siehst du einen Kadaver?“ „Nirgends.“ „Also hat es einfach so Blut verloren? Ist es mit letzter Kraft irgendwo anders hingerannt?“ „Es gibt keine Fußspuren am Boden, falls du das meinst.“ „Hab ich schon gesehen, ja. Dann ist es wohl geflogen. Aber guck dir die Menge des Bluts und die Größe des Grabens an. Wie gigantisch muss das Tier sein? Es müsste doch auffallen, oder?“ „Vielleicht ist es unsichtbar?“ „So wie Chameleos? Der ist nur unsichtbar, wenn er sich gerade kaum bewegt.“ Ben überlegte einen Moment. „Geflogen ist es auch nicht. Dann müsste hier ja auch eine Blutspur sein.“ „Ich wette das waren wieder die beiden!“, fauchte Lea. „Mill und Will?“ Lea spuckte auf den Boden und kickte einen Stein in den Blutsee. Anstatt unterzugehen hüpfte er ein, zwei Mal auf der Oberfläche und blieb dann liegen. Zwar unter der Oberfläche, aber so knapp, dass er fortwährend sanfte, kreisförmige Wellen schlug, etwa genau in der Mitte des Sees. „Ach du liebe Zeit!“, flüsterte sie entsetzt. „Was denn? Ist doch kein Problem, es gibt so Tage, da schafft man es nicht einmal einen Stein untergehen zu lassen…“ „Ben!“, zischte Lea. „Warum ist der Stein nicht untergegangen?“ Ben hielt inne und dachte einen kurzen Augenblick nach. Dann riss er die Augen auf und seine Ge-sichtszüge entgleisten. „Mein Gott. Es ist noch immer da? Unter dem Blut?“ Etwas schlängelte sich um Leas Knöchel, sie blickte hinab. „Waa!“, kreischte sie und zog blitzschnell ihre Sense. Aus der roten Suppe kroch ein kleiner Tentakel hinaus und tastete ihr Bein ab. Ein etwas dickerer befand sich auf der gegenüberliegenden Seite von Ben und Lea. Sie versuchte den an ihrem Fuß zu zerhacken, doch der Teil, der sich schon um ihren Schenkel gewickelt hatte, saß irgendwie fest. Ben war blitzartig zurück gesprungen. Hatte er die Tentakel etwa vorher schon bemerkt? Ein besonders Riesiger stieg nun mit schaumigen Wellen aus der roten Flüssigkeit und krachte blind Irgendwo an das Ufer. Drei weitere folgten und stiegen ganz langsam in die Höhe. „Ben, pass auf!“ „Was ist das hier?“ Er vollführte eine blitzschnelle Rolle und zog während des Aufstehens fließend seine Großaxt. Wie sie es ihm beigebracht hatte holte er aus und landete einen zielgenauen Hieb auf eine baum-stammdicke, moosgrüne Wurst, die sich gerade aufbäumen wollte. Sie wurde sauber durchtrennt. Der Rest des Tentakels zuckte zurück und verschwand im Blut. Dann stiegen Blasen aus der Mitte des Sees auf. „Lea, sieh!“, rief Ben. Doch Lea war beschäftigt. Einer der riesigen, mindestens vier Meter breiten Arme schlug genau dort ein, wo sie eben noch gestanden hätte, wäre sie nicht unkontrolliert weggesprungen; genau auf Ben, dem sie mit Wucht gegen die Brust fiel und ihn zu Boden warf. Die vier größten Tentakel lagen in den vier Himmelsrichtungen am Ufer und wölbten sich, als würde sich das Etwas, das sich noch unter dem Blut verbarg, abstoßen wollen. Eine rote Kuppel entstand, in der Mitte des Sees bildete sich Schaum, der Pegel stieg über das Ufer, erreichte Ben und Lea, welche sofort versuchten außer Reichweite zu rennen, davor allerdings noch in aller Eile aufstehen mussten, und aus der Mitte erhob sich ein braun-grünes Monster, mit weich-gefurchter Haut, wie Flechten an der Baumrinde, matschiges Gras an den Ufern von Mooren. Es stieg immer höher, so hoch, dass die großen Arme das Ufer kaum noch berührten. Während Lea vor Entsetzen das Szenario anstarrte, sah Ben sich das Monster ganz genau an: Es war offenbar mal stark abgerundet gewesen, denn die Kuppel, die den Mittelkörper darstellte sah irgendwie eingesunken und zusammengefallen aus. An den Enden der Riesententakel befanden sich jeweils zwei kleine Klauen. Die kleineren Tentakel glichen Lianen und waren kaum sichtbar, so gut getarnt waren sie auf der Moos-imitierenden Haut. Die Mundwinkel waren nach unten gezogen, da die Wangen die zwei vorderen Arme bildeten. Das Maul selbst war geschlossen. „Lea, lass uns verschwinden“, murmelte er ihr zu, und zu seinem Erstaunen nickte sie knapp. „Ja, ich kenne dieses Wesen nicht. Lass uns abhauen!“ Und unvermittelt rannten beide los, wie vom Teufel gehetzt. Als Ben hinter sich blickte sah er dieses krakenähnliche Wesen einige Baumlängen über dem Erdboden schweben, und es verfolgte sie. „Es ist hinter uns her.“ „Dann müssen wir kämpfen!“, schnaufte Lea und blieb abrupt stehen. Ben stolperte noch einige Schritte weiter, drehte um und packte Lea am Arm. „Vergiss es. Wir kennen dieses Monster nicht. Wir wissen nicht wozu es fähig ist.“ „Es verfolgt uns, bis es uns eingeholt hat. Und zweifellos wird es dazu früher oder später kommen. Schau nur, wie schnell es ist.“ Ben schluckte. Sie hatte Recht, das Vieh riss die Bäume im Sekundentakt um und schnellte auf sie zu. „Na gut, Lea, wenn du schon unbedingt warten musst, dann gib uns wenigstens eine letzte Chance!“, knirschte Ben mit den Zähnen, festigte seinen Griff um sie und zerrte sie in ein Gebüsch am nächsten Baum. „Was… Ben?!“ „Sch!“, zischte er eindringlich. Beide verstummten. Ben bemerkte einen Tausendfüßler, der seinen Arm hochkrabbelte. Auf Leas Bein, das nicht von einem noch immer zuckenden Tentakelstummel umwickelt war, hockte eine Spinne. Sie mussten sie ignorieren, durften sich nicht bewegen. Das Geräusch des typischen Blätterrauschens, beim Umfallen von Bäumen kam immer näher. Der dumpfe Aufprall erschütterte den Boden und ließ das Unterholz erzittern. Dann segelte ein Schatten über sie. Alle beide blickten wie auf einen lautlosen Befehl hin nach oben. Die Silhouette schoss über sie, verschwand und ließ die beiden unbehelligt zurück. Einige Sekunden trauten sie sich nicht zu atmen, schließlich stöhnten beide erleichtert auf. „Puuh.“ Bis schließlich die Rinde des Baums über Bens Rücken kratzte. Er drehte sich um – und beobachtete wie sie immer weiter auf sie zukam. Dann wieder das Blätterrauschen. Er stieß Lea weg, sodass sie nach hinten fiel. „Ben!“, beschwerte sie sich, erkannte dann den Ernst der Lage und krabbelte auf dem Rücken noch ein kleines Stück nach hinten. Ben war noch direkt unter dem Baum. Er sah kurz nach oben und warf sich dann zur Seite, zog die Füße an und wartete den Bruchteil einer Sekunde ab. Es ertönte ein dumpfer Aufprall, das Knacken von vielen kleinen Zweigchen, das Brechen dicker Äste… und das Rauschen der flatternden Blätter verstummte. Der Baum lag flach zwischen ihnen und hätte sie beinahe erschlagen. Einige Sekunden standen beide einfach nur still da, keuchten und atmeten den extrem hochgestiegenen Puls wieder herunter. Erst jetzt erlaubten sich beide alle ungebeten Gäste – Spinnen, Tausendfüßler, Käfer, Ameisen – von ihren Körpern zu entfernen. „Es ist weg!“, sagte Ben. „Hat es uns nicht gesehen, oder war es gar nicht hinter uns her?“ „Keine Ahnung. Das Blutbad, im wörtlichen Sinne, war aber mit Sicherheit Will und Millys Werk, darauf verwette ich mein Haus!“ „Was macht dich da so sicher?“ Lea hielt einen Herzschlag inne. Dann antwortete sie knapp: „Ich weiß es einfach, okay?“, und ging weiter. Bei jedem Schritt tröpfelte etwas Blut in das Gras, womit sie eine schwache, rote Spur hinterließ. Bei Ben war es nicht anders. „Wir müssen dieses Zeugs hier loswerden!“ Lea sah an sich herab. „Igitt, fällt mir erst jetzt auf, du hast Recht.“ Sie versuchte etwas mit der Hand zu entfernen, aber die Flüssigkeit entpuppte sich als rötlicher Schleim, ganz anders als menschliches oder auch wyverianisches Blut. „Wir können einen kleinen Umweg nach Süden machen. Nach Kaidara.“ „Eine Stadt?“ „Eher ein kleines Dorf. Dort müssen wir sowieso hin, wegen Kaltgetränken, die wir am Vulkan brau-chen können.“ „Stimmt.“ „Dann gehen wir besser hier entlang.“ Sie deutete irgendwohin. Wie zum Teufel findet sie immer die Himmelsrichtungen? Kann man das als Jäger? Oder kennt sie sich hier einfach aus? Ben fühlte sich wieder einmal ein ganz klein wenig … dumm. Auf einmal zutiefst gelangweilt trottete er ihr hinterher und konnte es auf einmal nicht ab, ständig ihr hinterherlaufen zu müssen, weil er nicht wusste, wo er war oder wo er hinmusste. Da fing es schon an. Musste. Wieso musste er ihr nach? Wieso überließ er es ihr nicht einfach selbst, die beiden Jäger Will und Milly aufzuhalten. Er glaubte sowieso nicht an so eine Waffenkammer. Wie sollte das überhaupt funktionieren. Die Waffe macht noch nicht den Kämpfer. Oder etwa doch? Dann konnte jeder Idiot die Welt unterwerfen? Das konnte Ben sich einfach nicht vorstellen. Und wenn Will und Milly wirklich überragende Meister waren? Aber gab es nicht immer einen Besseren. Irgendwann? Immer? Bens einziger Grund mit Lea mitzureisen war, dass er hoffte mit Leas Hilfe und Unterstützung seine Jagdkenntnis zu verbessern. Und irgendwie war Lea selbst auch ein Grund, auch wenn er sich das nicht anmerken lassen wollte. Zwei öde Stunden vergingen. Monotones „linker Fuß, rechter Fuß“, immer nur wandern, wan-dern…wandern. Durchs Unterholz, über Matsch, grasige Flächen. Die Temperatur schwankte nicht besonders, es blieb mild, wenn auch windig. Die warmen Winde des Vulkans, die über das Ödland in den Wald gefegt wurden, prallten auf die kühle Bora der Berge. Dadurch entstand ein sehr wechselhafter Luftzug, der besonders in Bodennähe an Kraft zunahm. Mit Rüstungen gab es kein Problem beim Laufen, aber Ben stapfte in seiner Art Mantel schwerlich auf und wurde am Bein von vielen kleinen Zweigen getroffen, was er sich aber niemals anmerken lassen würde. „Endlich…“ Lea stöhnte, lächelte aber, als sie zwischen den Bäumen auf eine große Holzpalisade zeigte. „Kaidara. Wir sind da. War länger, als ich dachte.“ „Vielleicht hast du dich einmal kurz verlaufen.“ „Mach dich nicht lächerlich.“ Ben lachte ein gekünsteltes, trockenes Lachen. Lea hielt inne, drehte sich um und blickte ihn aus verständnislosen Augen an. Ben breitete entschuldigend die Arme aus und grinste. „Lächerlich hat doch etwas mit Lachen zu tun, oder?“ Lea seufzte. Was für ein Kind. Aber bitte, sie konnte sich gerne auf so etwas einlassen. „Ja, aber du solltest dich nicht lächerlich machen.“ „Ich mache aber, was ich will. Und nicht, was andere mir befehlen.“ Damit ging er auf den Palisadenzaun zu, vielmehr auf eines der kleineren Nebentüren von Kaidara. „Das soll der Eingang sein? Sieht irgendwie… lächerlich aus.“ Er schnippte einen Holzsplitter weg, der vom Rest der Mauer abstand. Lea ignorierte die letzte Bemerkung. „Das ist nicht der Haupteingang.“ Ben klopfte an. Niemand meldete sich. „Vorsicht! Die nehmen dich fest, wenn du dir irgendwie Zutritt verschaffst.“ „Ich wette ihre Gefängnisse sind bequem.“ Ben prüfte, ob die Tür sich öffnen ließ.
Thema: Re: Die allmächtige Waffenkammer Fr 6 Nov - 20:50:28
Sie schwang ohne weiteres auf. „Na also. Lass uns gehen.“ Lea schluckte. Das war auf eine gewisse Art und Weise ihr Spruch. Um sich Würde zu bewahren schritt sie zügig voran, vorbei an Ben und durchquerte als erste den Zaun. Ben marschierte ebenfalls durch und schloss hinter ihnen. Offenbar war ganz Kaidara von diesen Palisaden umgeben, deren spitze Pfähle wie Reißzähne in die Höhe ragten, bereit jeden Eindringling aufzuspießen, der es wagte darüber zu klettern. Ansonsten wirkte die Stadt gemütlich – auf den ersten Blick. Die Dächer waren mit Stroh gedeckt, welches immer wieder provisorisch befestigt wurde, dass die starken Winde keine Schäden anrichteten. Das Holz, das verwendet wurde, war dunkel, fast so dunkel wie die braune Erde im Wald und nicht so ein gräuliches Hellbraun, wie im Gebirge. Einstöckig, mehrstöckig, beides war vorhanden, aber die grausamen Palisadenspitzen überragten selbst das höchste Haus. Vermutlich steckte dort die meiste Arbeit drin. Vielleicht um sich vor wilden Tieren zu schützen? „Hier gibt es eine Versammlungshalle. Wollen wir?“ Lea packte Ben spontan am Arm und sah ihn fragend an. Er erwiderte die Berührung nicht, sondern sah sich noch etwas um. „Ja. Klar, warum nicht.“ Will blinzelte. Seine müden Knochen knirschten, als er den Arm über seine Augen legte, um sie vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Mit halben Bewusstsein nahm er Milly neben sich war, und dass sie offenbar ihr Nickerchen schon beendet hatte. Mit einer Bärenkeule im Magen marschierte es sich nicht besonders, daher das kleine Schläfchen. Will legte sich auf die Seite; sein bestes Mittel langsam, aber sanft wach zu werden. Lautlos seufzend spürte er, wie die Müdigkeit in den Boden abfloss, wie seine Augen sich an das Licht gewöhnten, und wie die Kraft in ihn strömte, aufstehen zu können. Zögernd stemmte er sich hoch. „Haaaaaah…“, gähnte er. „Wie unhöflich…“, sagte eine Stimme, die er nicht kannte. Er wirbelte herum. Neben Milly stand ein dunkelhaariges, attraktives Mädchen, in einer schlichten Rüstung und hohen Lederstiefeln, die an den Fußspitzen, Unterschenkeln, und Schienbeinen Metalleinsätze hatten. Um die Hüfte herum wickelte sich eine Art stählerner Minirock, an dem mehrere Ledergürtel zur Befestigung von Ver-brauchsgegenständen während der Jagd hingen. Desweiteren trug sie ein ärmelloses Kettenhemd unter einer Weste, die aus echtem, aber gut bearbeiteten – das erkannte Will auf den ersten Blick – Leder bestand, und Brustkorb und Wirbelsäule mit Eisenplatten schützte. Ihre Armschienen reichten nicht einmal ganz bis zum Ellenbogen, sondern verdeckten nur höchstens zwei Handbreit weit das Handgelenk, während die Hände selbst in dem gleichen Leder, aus dem die Weste Bestand, verborgen waren. Einen Helm trug sie nicht. Ihre schwarze Mähne, die in dem warmen Wind wie die einer Bestie flat-terte, war ebenso ungeschützt, wie das perfekt proportionierte Gesicht. Eine Waffe sah Will nicht, er vermutete, dass sie ein kleines Schwert auf dem Rücken trug, das er jetzt nicht erkennen konnte. „Na, was verschlägt uns denn in dieses traurige Aschenland?“ Die Fremde ignorierte die Bemerkung. „Hast du ein Schwert gesehen, das ungefähr so aussieht?“ Ihre Stimme klang so mystisch und sanft, wie der Gesang einer Eule in einem dunklen Wald. Mit einer Hand zog sie fließend ein dünnes Schwert, das an ihrem Rücken befestigt war. Es hatte eine smaragdgrüne Klinge, welche unter dem Sonnenlicht hell aufblitzte, und die ungefähr drei Viertel ihres Armes lang und höchstens fingerdünn war. Das Heft war mit alten Schriftzeichen verziert, welche irgendwie mächtig wirkten. Will konnte sie lesen, es war ein alter Dialekt, den er auf seinen Reisen durch die Wüste kennengelernt hatte. Vielmehr von jenem Beduinen, der ihnen die Geschichte der Waffenkammer offenbart hatte. Findet den ewigen Zorn, dann kommt der ewige Frieden. Das Material des Griffes konnte Will nicht bestimmen. Aber die Inschrift verblüffte ihn. Das und die Klinge, die in dem starken Sonnenlicht leicht gläsern wirkte; gläsern und scharf, wie der erste Son-nenstrahl am frühen Morgen in Pokke. Sie fuhr fort. „Sie sieht fast gleich aus, nur bernsteinfarben. Habt ihr sie gesehen?“ „Nein, haben wir nicht. Sag ich jetzt schon zum dritten Mal.“ Milly antwortete anstelle von Will, der langsam seine Fassung gewann und aufstand. „Was ist das für eine Waffe?“ Die Fremde sah ihn argwöhnisch an, doch das erkannte Will nur an einem besonderen Glanz in ihren ansonsten unergründlichen Augen. Sonst wirkte sie vollkommen unbewegt. „Sie führen sich wie normale Doppelklingen. Ist es das, was du gemeint hast?“ „Nein. Ich glaube, du weißt, was ich meine“, entgegnete Will gelassen, ging einige Schritte auf sie zu und griff nach ihrem Handgelenk, um die Waffe näher an sein Gesicht zu heben. „Was ist das für ein Material? Und wer kann eine solche Waffe schmieden? Die Klinge wirkt wie Kristall. Und das Metall des Griffes wirkt zu… weich für Stahl oder Eisen.“ „Es ist weder das eine, noch das andere. Es ist auch nicht aus Wyvernmaterialien hergestellt. Und auch nicht aus denen von Drachenältesten. Mehr weiß ich nicht.“ „Wer ist der Schmied?“ „Es gibt keinen.“ Will ließ ihre Hand los, als hätte er sich verbrannt. „Was?“ „Ich habe sie bei niemandem in Auftrag gegeben.“ „Dann hast du sie irgendwo gefunden?“ Will wurde etwas ärgerlich. „Ja und nein.“ „Erzähl doch!“ „Nein.“ Im Gegensatz zu Wills Stimme, hatte sich ihr Tonfall kein bisschen verändert. Sie wirkte immer noch unbegreiflich, fremd, geheimnisvoll. „Wieso nicht?“, fragte Will argwöhnisch. „Weil sie zu wertvoll ist.“ Damit musste sich Will als Antwort zufrieden geben. Er kannte die Waffe ohnehin und stellte die Fragen nur, um ihre Reaktion zu beurteilen. Doch sie offenbarte nichts. Oberflächenlos, zurückgezogen, aber nicht schüchtern. Beim besten Willen; er konnte sie einfach nicht einschätzen. Milly blickte etwas verunsichert von ihr zu ihm. Dann, in dem Versuch potentielle Feindschaften zunichte zu machen, sagte sie freundlich: „Na dann: Wir sind Will und Milly. Wer bist du?“ „Falls du meinen Namen meinst: Skye. Aber merke ihn dir nicht. Ich weiß auf welcher Mission ihr seit, daher möchte ich nicht in eurer Nähe bleiben.“ Will und Milly waren beide sofort kampfbereit. Milly hatte blitzschnell ihre Waffe gezogen, eine Durchschussmunition eingelegt, entsichert und zielte nun auf Skyes Herz. Will hingegen zog ohne sichtbaren Aufwand sein Großschwert aus der Erde – seitlich der Klinge wurden grobe Steinbrocken mitgerissen –, sprang zu Skye herüber, traf sie mit dem Ellbogen am Kinn, kickte sie mit dem Fuß sehr zielsicher auf das Brustbein und warf sie um. Der scharf gezackte Schatten der ausgefahrenen Dornen seiner Aufschlitzklinge lag direkt über Skye. „Die kleinste Bewegung mit deinem Dolch da, und du bist sofort mausetot!“, sprach er in tödlicher Ruhe. Skye ließ sich weder Furcht noch Ärger anmerken. „Dass euch eure Mission so wichtig ist, hätte ich nicht gedacht. Fühlt ihr euch wirklich bereit dafür?“ „Hey“, unterbrach Milly, „Was ist unsere Mission?“ Skyes Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. „Ihr wollt es hören? Ihr wollt wissen, ob ich glaubwürdig bin und euch nicht zum Narren halte?“ „Exakt. Vielleicht bist du es gar nicht wert.“ „Na schön.“ Sie blickte zwischen Milly und Will hin und her. „Dazu möchte ich mich aber besser nicht in Lebensgefahr befinden.“ „Na gut“, sagte Will zögerte kurz, als akzeptierte er diese Forderung, ließ dann aber kaltblütig die Aufschlitzklinge auf Skye niederfahren. Sie schrie auf, doch das Schreien erstarb sofort. „Will!“ Milly war entsetzt und sprang zurück, während sie nach Luft schnappte. Nicht, dass sie es nicht ertragen konnte, wenn Menschen vor ihren Augen starben, doch sie war fassungslos, da sie keinerlei Anlass zu dem Schwerthieb sah. „Will, wieso?“ „Wieso was? Sieh her!“ Das Großschwert war perfekt platziert worden. Skyes Handgelenk, das die Waffe umklammerte, saß nun zwischen zwei der Reißzähne des Großschwertes fest, die sich tief ins Erdreich gegraben hatten. Ihr Waffenarm saß fest, war aber vollkommen unverletzt. Skye prüfte, ob sie den Arm befreien konnte, tat dies aber nicht mit Instinkt des in die Ecke getrieben Tieres, sondern mehr - so schien es – aus Interesse, ob Will wirklich gut gezielt hatte. „Eine sehr gute Falle, Will. Ich kann euch nicht mehr angreifen. Trotzdem rate ich euch, meinem Handgelenk nicht zu nahe zu kommen. Das nur am Rande, falls ihr vorhabt, meine Waffe zu stehlen.“ „Nein, wir brauchen deine Waffe nicht. Und angeblich weißt du ja warum. Mich interessiert woher.“ „Ich kenne die Waffenkammer. Genügt euch das?“ „Mit Sicherheit nicht. Woher weißt du, das wir zwei, Mill und ich, diese Kammer suchen?“ „Ihr seid die beiden gefürchtetsten Jäger im Land. Die Monster, die ihr erlegt, gelten unter anderen Jägern für mehr als tot. Ihr seid im Umgang mit euren Waffen geschickt, nutzt eure Umgebung, und kennt eure Gegner in- und auswendig. Niemand sonst würde es überhaupt schaffen, alle Hinweise zum Weg zur Kammer zu finden.“ „Die Hinweise waren nicht in den Mägen der Monster versteckt, Skye.“ „Aber ihr seid in Gebiete vorgestoßen, in die noch nie ein anderer Fuß gesetzt hat. Zumindest seit langem.“ „Woher weißt du das?“ „Dort waren zum Teil die Hinweise. Beispielsweise am größten Brocken reinen Machalits. Nicht in Pokke, sondern im Nordwesten des Gebirges. Der Teil, wo die Berge immer größer werden.“ „Bist du uns gefolgt?“ „Ich werde euch unter keinen Umständen sagen, woher ich solcherlei Informationen habe. Um eure Neugier zu befriedigen, muss euch als Antwort reichen: Ja, ich bin euch gefolgt.“ „Aber du bist uns nicht wirklich gefolgt?“ Skye schwieg. Weder verneinte sie es, noch stimmte sie Will zu. Eine Stille machte sich breit, während Will überlegte. Milly wagte nicht das Gespräch weiterzuführen. „Geh“, sagte Will schließlich und befreite mit einem Ruck sein Großschwert aus der Erde und gab damit Skyes Arm frei. „Was?“ Milly schaute Will verwirrt an. „Aber sie weiß bescheid! Sie muss sterben, oder mit uns kommen.“ „Sie kennt die Waffenkammer. Aber sie trägt keine derartige Waffe. Ihre Doppelschwerter sind die eines vergangenen Helden. Erinnerst du dich an das Luna-Epos? Der tapfere Jäger im Kampf gegen Lunastra? Der Name des Jägers ist allerdings unbekannt.“ Milly nickte leicht, aber langsam. „Das sind seine Doppelschwerter.“ Da klappte Milly die Kinnlade herunter und sie starrte Skye voll Ehrfurcht an. „Sie existieren wirklich? Woher hast du sie?“ Skye stand langsam auf, jetzt da sie nicht mehr durch Wills Aufschlitzklinge festgehalten wurde. „Ich habe sie geerbt. Einer meiner Vorfahren muss sie gefunden haben. Und doch sind diese Waffen Spielzeug, verglichen mit denen, die ihr finden werdet!“ Keiner von den dreien zeigte darauf eine weitere Reaktion. „Wie auch immer, Skye. Da du von der Kammer weißt und sie noch nicht gefunden hast: Geh!“ Sie verbeugte sich vor Will. „Ich verneige mich, da die uralten Waffen endlich wieder in der Sonne erstrahlen werden, auch wenn sie für unheilige Zwecke missbraucht werden. Und schade, dass ihr mein anderes Schwert nicht gefunden habt.“ Damit drehte sie sich um und sprintete los, direkt vor dem Wind in Richtung des Waldes, der wenige Stunden hinter Will und Milly lag. Als sie nur noch ein Punkt am Horizont war, breiteten sich plötzlich wyvernartige Flügel aus, die sich mit hoher Ge-schwindigkeit vom Boden entfernten und im Dunst der Ferne verblassten. „Sie hat eine Wyvern gezähmt?“, rief Milly gekränkt und gleichzeitig ungläubig aus. „Wer zum Teufel ist sie?“ „Sie ist jemand besonderes, daran besteht kein Zweifel.“ „Ob es klug war, sie gehen zu lassen?“ „Sie ist keine Gefahr, Mill. Wir können ganz unbesorgt weitergehen. Vertrau mir.“ Will marschierte los und machte sich nicht die Mühe den Rest des Bären mitzunehmen. Gegen Abend, so seine Prognose, würden sie am Vulkan ankommen und konnten mit ihrer Expedition beginnen. Knarzend öffnete sich die Holztür, die ein wenig süß stank, und entblößte den Blick auf einen dunklen Raum mit vielen Stühlen und einigen niedrigen Tischen, auf denen schwere Krüge und Trinkhörner standen. Ein Tresen stand im hinteren linken Bereich des Hauses und sah irgendwie rauchverhangen aus. Der Raum war voller stiernackiger Jäger und einiger umwerfender Jägerinnen. „Das ist eine Kneipe, Lea.“ „Sag ich doch, die Versammlungshalle. Hier decken wir uns mit allem ein, was wir brauchen.“ Ben zuckte mit den Schultern und ging einige Schritte in Richtung Tresen. „Halt, Ben. Was wir später brauchen, gibt es an da hinten.“ Lea deutete auf eine Dame vor einem Regal auf der anderen Seite des Raums. „Und hier gibt es das, was wir genau jetzt nrauchen, Lea. Lässt du mir etwas Geld da?“ Lea öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber, weil ihr darauf nichts einfiel. Ergeben gab sie ihm ein paar Münzen. „Mir bitte was Leichteres.“ „Geht klar.“ Ben lächelte sofort wieder und wandte sich der Frau hinter dem Tresen zu und wollte gerade bestellen, als ein brüllendes Kreischen die Wände zittern ließ. Im Raum war es plötzlich mucksmäuschenstill. Kein Finger rührte sich einige wenige Sekunden lang. Die Jäger schauten sich nervös um. Ein paar standen auf und zogen unsicher ihre Waffe. „Was war das?“, rief einer. „Keine Ahnung. Ein Rathalos?“, erwiderte ein anderer. „Hier?“ Ben riss die Augen auf. Ein Rathalos? Griff er das Dorf an? Stand er vor dem Zaun? Würden gleich Jäger losgeschickt. Plötzlich krachte etwas; ein paar Streben am Dach brachen und fielen herunter. Ein Tisch wurde dadurch zertrümmert und schleuderte Krüge und Becher durch das Haus. Erschro-cken sprangen die dort sitzenden Männer auf und zogen ihre Waffe. Einer von ihnen ging zur Tür, öffnete sie und verschwand draußen. Sofort kam er wieder rein gerannt. Er keuchte, als hätte er einen Dauerlauf hinter sich und stützte sich auf den Schild seiner Gewehrlanze, als eine zarte Hand von außen seine Schulter streichelte. „Na, na, na. Halb so wild, mein Kleiner“ flötete eine Stimme, die Ben komischerweise an Eulengesang erinnerte. Mystisch, schön, aber dunkel und unheimlich. „Er tut doch keinem was.“ Die Jägerin trat nun komplett ins Sichtfeld aller Anwesenden des Schankhauses. Kurze, schlichte Rüstung und eine smaragdene Klinge an der Taille. Dunkles Haar wellte sich um ihre Schultern. Ben assoziierte damit die Mähne eines wilden Tieres. „Bubi ist gleich wieder weg, alles klar?“, fragte sie in einem Tonfall, als würde sie mit einem Kleinkind reden. Der Jäger, mit dem sie sprach wirkte erniedrigt und verlegen. Die Jägerin ließ einen sonderbaren Pfiff erklingen, dessen Echo im Haus ungleichmäßig auf und ab schwellte. Da hörte Ben ein dumpfes Geräusch, das seinen Brustkorb vibrieren ließ. In kurzen Abständen folgte es noch dreimal. Beim vierten Mal drang plötzlich Licht durch das Dach, an der Stelle, an der sich unter einem entsetzlichen Knirschen eine rote Wyvernklaue durch das Stroh und Holz grub und weitere Streben auf den Boden regnen ließ. Alle konnten kurz durch das entstandene Loch einen Rathalos erkennen, der in eleganten Kreisen von dannen flog. „Na also.“ Das Frauchen des Rathalos, so kam sie zumindest an, wirkte etwas erleichtert, als hätte sie ihre Kinder zu Bett gebracht und damit eine Aufgabe erfüllt, nach der sie sich nun etwas mehr gönnen durfte. Sie ließ von dem Jäger ab und schritt durch den Raum. Alle Augenpaare folgten ihr. Der Jäger mit der Gewehrlanze buckelte als hätte er eine Gänsehaut, dann kehrte er zum Tisch seiner Gefährten zurück. Lea stand plötzlich neben Ben und zupfte ihn am Ärmel. „Hast du bestellt?“ „Nein.“ „Dann bestell schnell! Nicht dass sie hinter uns wartet und uns anspricht.“ „Hast du Angst?“ „Nicht Angst… ich…“ Ben schüttelte grinsend den Kopf, wandte sich aber der Dame am Tresen zu und bestellte für ihn und Lea. Ein paar Sekunden später stahlen sie sich zum nächsten freien Tisch. Und noch ein paar Sekunden später, ehe sie wussten, wie ihnen geschah, setzte sich Madame Rathalos zu ihnen an den Tisch. „Äääh, hier ist besetzt.“ Setzte Lea an. „Ach? Wo denn?“ Sie wirkte weder überrascht, noch neugierig, noch ärgerlich, noch sonst etwas. Nicht einmal kühl, weder abweisend, noch einladend. Eine oberflächenlose Persönlichkeit. „Hier ist nicht besetzt, setz dich zu uns“ sagte Ben, ehe Lea etwas erwidern konnte. „Wir sind Ben und Lea. Einen interessanten Auftritt hast du da hingelegt. Hast du die Wyvern gezähmt?“ „Hallo Ben und Lea.“ Anstelle eines Handschlags versah sie jeden mit einem kurzen Augenkontakt. Sie wirkte so ganz anders als noch im Türrahmen. „Ja, ich habe den Rathalos gezähmt. War nicht weiter schwer.“ „Hilft er dir bei der Jagd?“ Bens Interesse war nicht geheuchelt. Sie schien sich darüber etwas zu freuen; eine minimale Gefühlsregung. „Ich kämpfe lieber selbst. Er ist mehr ein sehr besonderes Transportmittel, sobald man herausgefunden hat, sich nicht von den Stacheln auf dem Rücken verletzen zu lassen.“ „Aber er könnte dir ungemein helfen. Im Sturzflug hätte er jeden Gegner schnell umgebracht. Das brächte Geld ohne Ende.“ „Ben war es doch, oder?“ Ben nickte. Sie fuhr fort. „Ich hoffe inständig, dass du nicht für Geld jagst. Es gibt weitaus ungefährlichere Berufe.“ „Nichts bringt soviel ein, wie Jagen.“ Die Fremde schwieg einen Moment. „Dafür ist das Jagen zu gefährlich. Ein Fehler und dein ganzes bisher verdientes Geld ist nichts mehr wert.“ „Wieso denn?“ „Weil du tot bist.“ Sie betonte das Wort „tot“ wie einen Schuss aus einer schweren Armbrust. Ben erschrak kurz. „Na gut, vielleicht hast du Recht. Dann machst du also noch etwas neben der Jagd?“ „Nein.“ „Du bist also ausschließlich Jägerin?“ „Richtig.“ „Aber nicht wegen des Geldes?“ „Nein.“ „Weswegen jagst du dann?“ „Aus Liebe zum Kampf, so, wie viele andere Jäger auch. Sag mir, weswegen kämpft ihr?“ „Ich kämpfe, um mein Dorf zu beschützen. Das ist ehrenhaft genug, oder?“, meldete sich Lea trocken zu Wort. „Und ich habe eigentlich noch keinen Kampf hinter mir“, murmelte Ben etwas kleinlaut. „Also ist deine Ausbildung noch nicht fertig?“, ging die Jägerin auf Ben ein. „Doch, offiziell schon. Aber das ganze Leben eines Jägers ist seine Ausbildung.“ „Gut erkannt, Ben.“ Eine Pause entstand. Dann unterbrach Lea das Schweigen. „Was ist denn dein nächstes Ziel?“ Die Fremde antwortete nicht sofort. „Wieder das Aschenland. Ich suche das Gegenstück hierzu.“ Sie legte ihr kristallgrünes Schwert auf den Tisch. Ben und Lea beäugten es mit großem Interesse, doch im Gegensatz zu Bens Faszination lehnte sich Lea kurz darauf wieder zurück, verschränkte die Arme und sagte: „Das ist ein ziemlich wertvolles Schwert, nicht war?“ Die Fremde nickte. „Aber es fehlt die andere Hälfte. Nur mit seinem Gegenstück ist es komplett.“ „Also kämpfst du mit Doppelschwertern?“, fragte Ben etwas naiv. Madame Rathalos nickte geduldig. „Ich habe die andere Klinge im Ödland verloren. Wo ist euer Ziel?“ „Vulkan“, antworteten Lea und Ben gleichzeitig. Die Fremde zog eine Augenbraue hoch, als traute sie es den beiden nicht zu. „Es gibt keine Quests für den Vulkan, im Moment zumindest.“ „Ach nein?“ Lea war gelinde erstaunt. Ben schluckte und blickte Lea nervös an. „Weiß sie etwas?“, sagte sein Blick. Lea nahm ihn war, zeigte aber keinerlei Veränderung in den Gesichtszügen. „Nein“, antwortete die andere Jägerin. „Wir sind auch nicht auf einer Quest“, gab Lea zurück, womit sie noch nicht einmal log. Ben seufzte erleichtert. Die Jägerin sah ihn an. Ben hielt dem Blick stand, als wolle er sagen. „Ja? Ist irgendetwas?“ Die Jägerin stand auf. „Wenn ihr zum Vulkan wollt, dann müsst ihr sicher auch durch das Ödland. Dürfte ich euch auf dem Weg dadurch begleiten?“ Lea setzte eine Antwort an, doch Ben unterbrach sie grob. „Klar darfst du das! Sagen wir heute Abend, gleich bei Sonnenuntergang am Haupttor?“ „Ihr wählt eine seltsame Zeit zum Reisen, doch ich erwarte euch.“ Lea stand auch auf, etwas Abweisendes im Gesicht. „Warte.“ Die Jägerin war gerade im Begriff zu gehen, doch sie drehte sich noch einmal zu Lea um. „Ja?“ „Wie war nochmal dein Name?“ „Nenn mich Skye.“ Damit ging sie aus der Versammlungshalle. Lea setzte sich wieder zu Ben und fauchte ihn an. „Wie konntest du zulassen, dass sie sich zu uns setzt!“ „Ja, also wirklich!“, grinste er. „Die steckt uns locker weg! Sie hat eine Wyvern gezähmt!“ „Und jetzt reist sie mit uns durch das Aschenland!“ „Wobei sich welches Problem ergibt?“ Lea zuckte zurück, schwieg aber. „Du hast sie wohl besonders gern, nicht wahr?“, hakte Ben mit einem säuerlich-ironischen Unterton nach. Knapp nickend nahm Lea einen Schluck von ihrem Trinkhorn. Als sie es wieder absetzte streckte sie angewidert die Zunge raus. „Was zum Teufel hast du da gekauft, Ben?“ Ben schmunzelte. „Das einzige, das ich kannte. In Shezel ist es sehr beliebt.“ „Woraus ist es gemacht?“ „Aus Wüstenfeigen und Genpreygift.“ „Genpreygift?!“, Lea prustete aus, was sie im Mund hatte und schob ihr Horn schnell von sich. „Nur die Ruhe.“ Ben lachte leise. „Die Feigen neutralisieren die Lähmwirkung. Zurück bleibt nur der bittere Geschmack, der sehr gut zu der Süße der Feigen passt.“ Ben sah schwärmend die Decke an. Lea musterte ihn misstrauisch. „Das klang, wie auswendig gelernt.“ „Wird wohl was dran sein“, antwortete Ben knapp und nahm einen großen Zug. „Aber weswegen… Genprey?“ „Beschleunigt die Gärung.“ Lea nickte. „Ein guter Grund.“ Sie besah sich ihres Trinkhorns noch einmal näher und nahm mit neuem Interesse einen weiteren Schluck. Sie ließ sich das Gebräu im Mund herumwälzen und spürte das Prickeln auf der Zunge und in den Wangen. Dann schluckte sie herunter. Immer noch nickend suchte sie Bens Blick. „Du hast recht. Eigentlich gar nicht mal so schlecht.“ Er prostete ihr zu. „Wo schlafen wir eigentlich? Wir sind die ganze Nacht und den ganzen Tag durch-gewandert. Ich bin todmüde!“ Und plötzlich spürte sie es auch. Irgendetwas Kühles unter ihrer Haut an den Gelenken, als würden sie sich nicht mehr bewegen wollen. „Müssen wir suchen. Gehen wir?“ „Okay.“ Müde verließen sie das Haus und blinzelten in der Mittagssonne. Glücklicherweise war gleich gege-nüber eine Raststätte. Lea bezahlte an der Rezeption und beide schlurften langsam in den ersten Stock, wo sie ihr Zimmer fanden. Es stand nur ein Bett drin. „Ho?“, gab Lea von sich. „Wird wohl ziemlich eng“, sagte Ben und zog sich aus. Als er sich ohne Kleidung in Leas Haus wiedergefunden hatte, hätte er nicht im Traum daran gedacht sich hier vor Lea so entspannt zu entblößen. Aber jetzt wollte er es so und hoffte, dass Lea nicht zu introvertiert reagieren würde. Quatsch!, sagte er sich. Lea doch nicht. „Schläft einer am Boden?“ „Ich mit Sicherheit nicht!“ Ben legte sich bereits hin. „Na komm. Auf dem Holz schläft es sich be-stimmt grausam.“ Er strich mit einer Hand über die freie Hälfte der Matratze. Lea zögerte. „Ja…“ Sie schaute zwischen dem Holz und Ben hin und her. „Wie müde bist du?“ Als Antwort drehte Ben Lea den Rücken zu und schnarchte zweimal. Lea seufzte, zog sich ebenfalls aus und legte sich zu Ben ins Bett. Ben überlegte… Sollte, oder sollte er nicht? Jetzt oder vielleicht nie? Die Situation war in seinen Augen perfekt, aber vermutlich gehörte für Lea noch viel mehr dazu, als die bloße Situation… Pah, hier ging es um ihn! Was er wollte! Also drehte er sich zu Lea um und sah ihr tief in die Augen. „Was?“, fragte sie leise, um die ruhige Atmosphäre nicht zu stören. Fließend und sanft streifte Ben langsam die Decke vom Bett.
Wie feine Insektenschwärme stoben die Aschenwolken im Wind auf und ab und erschwerten das Atmen, während sich Milly und Will durch den Wind kämpften, wie die letzten ihrer Art auf einer heiligen Mission, die um keinen Willen der Welt fehlschlagen durfte. In dem trüben grau des Hori-zonts tauchte eine schwarze Säule auf, umflogen von kleinen, geflügelten Gestalten – Remobras – die den Qualm, der aus dem Krater emporstieg, umkreisten, wie die Geier einen Kadaver. Die Luft stank. „Irgendein Hinweis auf dem Fetzen, wo genau wir am Vulkan suchen müssen?“, fragte Milly, als sie gerade ein paar Ascheflocken mit der Hand vertrieb. „Ich tippe mal am Krater. Schwer zugänglich und irgendwie… passend, findest du nicht?“ Will musste kurz darauf husten und krümmte sich, als er Rußpartikel einatmete. „Ich habe keine Ahnung. Was genau werden wir nochmal finden?“ „Entweder gleich die Kammer, oder noch einen Hinweis.“ „Noch einen? Ich denke, wir haben den letzten.“ „Mit Hinweis meine ich detailgetreue Karte. Der direkte Weg zum Ziel und keine verschlungenen Rätsel mehr.“ „Beruhigend…“ Ein Remobra flog auf sie zu, mit weit geöffnetem Maul, das die spitzen Reißzähne entblößte und woraus violetter Speichel troff. Ohne sein Tempo zu verändern zog Will seine Aufschlitzklinge, vollführte einen eleganten senkrechten Bogen und hinterließ eine zweigeteilte Wyvern hinter sich. „Das kann man leider nicht essen.“ Milly seufzte, blickte aber nicht zurück. Will nickte. Es vergingen zwei Stunden. Der Vulkan rückte näher, sein Gestank nach verbranntem Fleisch und Asche ebenfalls. Die Sonne kroch langsam auf den Horizont zu, das Licht veränderte sich von blau-grau zu rötlich-violett-grau. „Suchen wir morgen weiter?“ Will blickte Milly erstaunt an. „Nein“, sagte er ganz zart. „Na komm. Wir sind seit gestern Nacht durch marschiert, haben einen Tigrex und dieses grüne Ten-takelvieh erlegt, das komplette Ödland durchquert und wollen jetzt noch den Vulkan erklimmen? Wir sind länger am Stück gelaufen als jemals zu alten Jagdzeiten.“ Will zögerte einen Moment. „Hmm. Du hast recht.“ „Also bleiben wir hier und ruhen uns aus?“ „Nein.“ Milly starrte ihn an. „Bitte, ich bin fix und fertig!“ „Okay, dann lass uns wenigstens noch zum Fuß des Vulkans gehen.“ Milly nickte. „Klingt fair.“ So brauchten beide noch fast eine weitere Stunde bis zum ersten echten Vulkangestein, und sich ein geschütztes Plätzchen suchten um sofort – praktisch noch bevor sie auf dem Boden aufkamen – einschliefen. Die Sonne kroch ihren Weg weiter bis zum anderen Ende des Horizonts. Auf ihrem Weg färbte sie den Himmel immer weiter ins Rötliche, bis schließlich die Wolken aussahen, wie glühende Kohlestücke. Beide Paare streckten sich zur selben Zeit und blickten ihrem jeweiligen Teammitglied gleichzeitig in die Augen. Bloß, dass Will als erster von allen vieren aufstand, da er die mit Abstand unbequemste Schlafhaltung eingenommen hatte. „Guten…Abend, Milly“, gähnte er, nachdem sich ein weiteres Mal gestreckt hatte. Sie antwortete nicht, sondern befingerte ihr Haar um Ascheflocken herauszuklauben. So stolz, wie sie auf ihre Haare war, konnte sie kein verbranntes Zeugs darin dulden. Will sah sich einen Augenblick den Himmel an. Auch seine wild verstrubbelten hellblonden Haare hatten weißlich-graue Flecken abbekommen, seit sie den Vulkan am Horizont hatten sehen können. Doch es kümmerte ihn nicht. Er stand auf und begann den Abend mit ein paar Dehnübungen; dazu musste er allerdings seine Rüstung ausziehen. „Du wirst dreckig“, sagte Milly, die den Anblick eines sich dehnenden Wills gewohnt war und ihn mit gemäßigtem Interesse zuschaute. „Bin schon…“, schnaufte er und ging in eine andere Position. Trotz des eintönigen Marschierens und dem grauenvollen Mittagsschlaf, war Will geschmeidiger, als die meisten Jäger, die ihm begegnet waren. Das musste er auch sein, als Besitzer eines Großschwerts. Das Jagen und Kämpfen erforderte sowieso eine äußerst trainierte Körperbeherrschung, doch je größer die Waffe, umso schwieriger war es, flexibel zu bleiben. Milly, als Fernkämpferin, konnte es etwas ruhiger angehen lassen und machte höchstens jeden zweiten oder dritten Tag ihre Fitnessübungen; Jagen war an sich schon Training genug. Als die Sonne schließlich hinter dem Horizont verschwand, schnallte sich Will wieder seine silberne Rüstung an und sagte zufrieden: „Okay, gehen wir.“ Milly sprang auf – sie war wieder etwas eingedöst – und schulterte ihre Armbrust. Aus ihrem Wind-geschützten Versteck heraus wurden sie zunächst einmal erdrückt vom heißen Aschewind, der ihnen entgegen fegte. „Aah, verdammt…“, knurrte Will und kniff die Augen zusammen. „Ausgerechnet heute. Schlechtes Wetter wird die Suche nicht unbedingt erleichtern…“ „Wir müssen ja nur in die Höhle. Du weißt schon, das Höhlensystem im Vulkan. Von dort aus kommt man leicht zum Krater.“ „Dann lass uns schnell machen.“ Gebückt kämpften sie sich durch den Sturm, den Arm schützend vor dem Mund, soweit der Bewe-gungsspielraum ihrer Panzer das zuließ. Sie krochen von Fels zu Fels, von Windschatten zu Wind-schatten, doch die Windrichtung änderte sich manchmal. „Warte!“ Milly hörte ihn und hielt inne. „Was?“ „Ich habe etwas gehört. Da drüben.“ „Monster?“ „Ja.“ „Groß?“ „Nein.“ Angestrengt starrte Will auf eine schmale Ritze, einen Spalt, in einer Granitwand. Etwas fauchte leise. Dann sah Will eine kleine rote Schwanzspitze, die sofort wieder verschwand, so schnell, dass er sie nur erahnen konnte. Doch sein geübtes Auge hatte den Feind sofort identifiziert, so dass er Milly Entwarnung geben konnte. „Alles klar, ist nur ein –“ „Ioprey, ich sah ihn ebenfalls.“ „Gut, gehen wir weiter.“ Will richtete sich wieder ihrer Laufrichtung zu. Plötzlich schleifende Schritte hinter ihnen. Will drehte sich um, sah den Ioprey bei einem lächerlichen Versuch ihn anzuspringen und fing ihn mit bloßen Händen ab. Er packte ihn am Hals und an einer Klaue. Wütend versuchte der Ioprey zuzuschnappen, aber Wills Griff war zu fest, für die kleine Wyvern. Und er hatte auch keine Gelegenheit die Hand, die seine Kralle festhielt aufzuschlitzen oder zu zerkratzen, denn im nächsten Moment trat ihm Will erst mit dem Knie gegen den Unterkiefer und dann mit voller Wucht und ausgestrecktem Bein an den Halsansatz. Zuckend befreite sich der Raptor mit einem aufheulenden Fauchen und trat einen Schritt zurück. Dann ließ er ein keuchendes Gurgeln vernehmen. Will wusste, dass der Ioprey gleich mit einem hochtoxischen Gift angreifen würde, dass vielleicht nicht sofort durch seine Rüstung drang, aber sehr schwer zu entfernen war. Ehe auch nur irgendjemand die Situation besser einschätzen konnte, zog Will blitzschnell seine Auf-schlitzklinge und wuchtete sie nach vorn, mit einem Ende des Gehäuses auf den Schädel der kleinen Wyvern. Er hatte nicht ausgeholt und geschwungen, daher waren die Dornen noch nicht ausgefahren, aber sein Schlag war kräftig genug, um den Schädel seines Gegners einbrechen zu lassen. Tot sank der Ioprey zusammen. Milly hatte sich nicht umgedreht und war einfach weitergelaufen, Will hätte es nicht anders gemacht. Wenn er nicht mit solchen Feinden zu Recht käme, dann verdiente er es nicht Millys Partnerin zu sein. Ebenso wenig Milly, die ein Hindernis darstellen würde, wenn sie sich nicht wehren könnte. Wissend, dass sie beide würdige Partner waren, holte Will zu ihr auf. „Vielleicht kommen noch mehr, die sind ja nie allein“, sagte er. Milly nickte, blieb stehen und schaute geradeaus. Will folgte ihrem Blick. „Sag ich‘s doch“, lächelte er und fuhr mit einem Schwung die Reißzähne seines Großschwertes aus, während Milly ihre Armbrust lud, um sich den annähernd zwanzig Ioprey, samt Iodrome – ihrem Anführer – zu stellen. Milly hatte, anders als Will, keinen Laufweg zurückzulegen müssen, um bereits effektive Treffer zu erzielen. Ihr geübtes Auge ahnte die Bewegungen der Raptoren voraus, berechnete ihre Aktionen, sodass sie reagieren konnte. Der Kopf des Iodromes war perfekt im Visier. Starker Seitenwind, bewegliches Ziel. Der Schuss würde knifflig werden. Langsam fuhr sie mit dem Fadenkreuz die Bewegungen des Schädels mit, zügig, aber flüssig – und unheimlich präzise. Sie schätzte den Wind ein, zielte etwas zur Seite und spurte nun etwas ortsversetzt die Bewegungen des Iodromes nach, der unsicher vor und zurückwankte, nicht sicher, welche Befehle er seinen Untergebenen erteilen sollte. Sein Kopf stand eine halbe Sekunde still; genau die, die Milly gebraucht hatte. Feuer.
Ben schreckte aus dem Schlaf, setzte sich kerzengerade hin, atmete schwer. Sein Brustkorb hob und senkte sich deutlich, kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Nur ein Alptraum, sagte er sich. Nicht die Wirklichkeit, nur ein Alptraum. Er war ein Raptor gewesen, hatte vor Lebensenergie gesprüht und fand sich plötzlich in erdrückender, ewiger, stiller, irrer Finsternis wieder, hörte Stimmen in seinem Kopf, Angstschreie, Todesschreie. Und dann dieser Schmerz. Jede einzelne Zelle seines Körpers hatte gebrannt. Hatte in Flammen gestanden. Voller Schrecken nahm Ben die rötliche Färbung des Bodens wahr. Aber es war nur der Sonnenuntergang. Kein Feuer. Welch eine verrückte Zeit aus dem Schlaf zu schrecken: Am Abend. Doch der Sonnenuntergang markierte ihre Aufbruchszeit. Sanft wiegte er Lea hin und her, packte sie an der Schulter und bewegte sie vor und zurück. „Lea“, summte er. „Aufgewacht.“ Sie gähnte, öffnete aber ganz langsam ihre Augen. Sie schien immer noch so müde. „Hi, Bääähhn“, gähnte sie herzhaft und legte ihre Arme um ihn. Er lächelte. „Guten… Abend.“ Er musste unbedingt wieder in seinen Rhythmus reinkommen! „Wir sollten los.“ „Schon?“ „Ja. Wir treffen uns mit Skye, schon vergessen? Es geht durchs Ödland.“ „Ach jaa.“ Plötzlich wirkte sie noch müder, tatsächlich genau in dem Moment, in dem Skyes Name gefallen war. Ben stieg aus dem Bett und streckte sich ausgiebig. „Kann man sich hier irgendwo waschen?“ „Glaube nicht. Davon wird man am Vulkan sowieso nichts merken.“ „Na toll.“ Lea stand ebenfalls auf und zog sich Schicht für Schicht an, bis sie wieder in ihrer Jägerrüstung vor ihm stand. Schließlich befestigte sie noch ihre an der Wand lehnende Sense an ihrem Rücken und packte ihre neugekauften Kaltgetränke ein. „Wow, du bist aber schnell bereit.“ Sie lächelte unsicher. Falls der Satz eine Zweideutigkeit besitzen sollte, so verstand sie sie nicht, aber lächeln half immer. Auch Ben zog sich an, und fühlte sich extrem unbequem dabei. In der Mittagshitze mit Lea geschla-fen, dann ein Alptraum, von noch mehr Schweiß begleitet, und jetzt sein Mantel, der für das eisige Schneegebirge vorgesehen war und nicht für von der Sonne verbranntes Ödland mit einem Vulkan am anderen Ende. Er wunderte sich, warum es ihn nicht überall juckte. „Okay, lass uns gehen.“ Auch er packte seine Rationen und Kaltgetränke ein, die er sicherlich brau-chen würde. Liebevoll tätschelte er seine Großaxt, schulterte sie sich dann über eine Halterung an einem Gurt und bedeutete Lea zum Aufbruch bereit zu sein. Bis zum Haupttor kamen sie unbehelligt, doch es standen zwei Wachen davor, die plötzlich ihre Hellebarden kreuzten. „Wo wollt ihr hin?“, sagte der rechte, der mit einem blonden Ziegenbärtchen. Ben trat vor. „Raus. Zwei Feinde weniger.“ Scherzhaft zog er eine Augenbraue hoch und strahlte sie an. Die Wachen schauten sich verdutzt an. War das ein Spinner? „Was ist euer Ziel?“, fragte der andere noch einmal. Er hatte eine Glatze und war etwas untersetzt. „Wir wollen zum Vulkan“, unterbrach Lea. „Es gibt keine Quests, die euch zum Vulkan führen würden. Was wollt ihr dort?“ „Was sind das für Fragen?“, ärgerte sich Ben plötzlich. „Wir wollen raus aus Kaidara, was wir dann machen geht euch, bei allem gebührenden Respekt als Türsteher, absolut nichts an.“ „Wir wollen nur für eure Sicherheit garantieren. Wenn ihr keine Jäger seid, dürfen wir euch leider nicht passieren lassen.“ Der Ziegenbärtige hatte einen selbstgefälligen Tonfall aufgesetzt. „Wir sind Jäger“, stöhnte Lea. „Lasst uns einfach raus.“ „Auf welcher Quest seid ihr dann?“ „Auf keiner“, verplapperte sich Lea. Wie in die Falle geraten hielt sie sich die Hand vor den Mund. Ben sah sie konsterniert an. Dann wandte er sich den Wachen zu. „Lasst uns endlich raus, okay? Bevor noch irgendetwas passiert.“ Beide Wachmänner lachten. „Hohoo, Kind. Was kann denn passieren?“ Ben holte weit aus und schlug dem Ziegenbart direkt mit der Faust ins Gesicht. Der hatte mit dem Schlag nicht gerechnet und stolperte einige Schritte zurück. „Ben!“, rief Lea erstaunt aus. Er fackelte nicht lange, sondern entwendete dem Glatzkopf geschickt die Hellebarde. „Öffne das Tor!“, zischte Ben und hielt die Spitze der Waffe direkt unter das Kinn des Wachmanns. Die Wache sah ihn einen Moment erstaunt an. Dann vibrierte das Tor unter dem Donnern eines urgewaltigen Gebrülls. Es klang wie ein Rathalos. Ben sah auf. „Das ist doch hoffentlich nur Bubi, oder?“ Dann spürte er, wie ihm die Hellebarde weg-geschlagen wurde und er einen Kinnhaken verpasst bekam. Er fiel um, und richtete den Kopf nach oben. Der Wachmann mit dem Ziegenbart holte gerade zum Tritt aus. Ben rollte sich zur Seite, doch der Fuß des Ziegenbarts berührte nie den Boden. Es krachte laut, Holzsplitter von der Größe eines Beines flogen durch die Luft. Fünfzig oder mehr, und mittendrin Skye, wie ein Tier im Sprung. Sie landete neben dem Wachmann, stand blitzschnell auf, schlang einen Arm um seinen Hals, drückte fest zu, ließ aber sofort wieder los. Der Mann fiel lautlos um. Von hinten pirschte sich der Glatzkopf an Skye. Sie musste es trotzdem gehört haben, ein einfacher Hieb mit dem Ellbogen nach hinten und die Wache fiel rückwärts mit einer gebrochenen Nase ins Gras, wo er die Hände vors Gesicht schlug und sich wälzte. „Was hat euch aufgehalten? Lasst uns endlich gehen“, schnurrte Skye und schwebte mehr, als dass sie lief, durch das eingerissene Tor nach draußen. Ben und Lea folgten ihr etwas verzögert. „Mein Gott!?“, brachte Ben mit einem Seitenblick zu Lea hervor, nicht sicher, was er eigentlich aus-drücken wollte. Aber Lea verstand irgendwie. Sie nickte und flüsterte ihm etwas so leise zu, dass nur er es hören konnte. „Möchte wissen, wo sie ihre Ausbildung gemacht hat.“ „Gute Frage“, gab er zurück. „Hey Skye!“ Er winkte ihr zu. „Ben!“, zischte Lea verzweifelt. „Was denn?“, fragte Ben in gespielter Ratlosigkeit. „Hey Skye!“ Er winkte ihr zu. “Woher hast du diesen Kampfstil?“ Sie zeigte, wie immer, keine Gefühlsregung. Konnte sie nicht einmal mit Komplimenten umgehen? „Es liegt mir wohl im Blut“, antwortete sie trocken. Ben zuckte mit den Schultern. „Schade. Das heißt wohl, du kannst es niemanden beibringen.“ „Offensichtlich.“ Lea schnaubte. Für sie war Skye nur eine Wichtigtuerin mit diesem mystischen Gehabe. Sie verwettete ihren kompletten Besitz, dass Skye irgendwo einen phantastischen Lehrer gehabt hatte. Und das letzte, was sie brauchen konnte, wäre, dass Ben Unterricht bei ihr nahm. Ohne nachzudenken, irgendwie einfach so, nahm sie Bens Hand. Er erwiderte die Geste zwar, tat ansonsten aber so, als würde er es nicht bemerken. Stattdessen redete er wieder mit Skye… „Kann Bubi uns eigentlich tragen?“ „Der Rathalos?“ „Ja. Bubi eben. Kann er uns tragen?“ „Ich fürchte nein. Er kann nicht alle tragen.“ „Aber ein Rathalos ist doch kräftig! Kann er nicht ganze Aptonoth durch die Luft schleudern? Dann müsste er uns doch alle fliegen können?!“ Skye lachte leise. Sie hob zur Antwort an, aber wurde von Lea unterbrochen. „Nein, Ben. Wir würden auf dem Rücken fliegen, und dazu ist die Muskulatur nicht gemacht. Skye alleine wäre kein Problem, aber zu dritt ginge es wohl nicht. Den Aptonoth kann er anheben, weil er ihn mit seinen Klauen packt. Das synergiert mit der Brustmuskulatur. Ich schätze mal, du willst nicht in seinen Klauen reisen?“ Ben zog sie an sich. „Nein, da hast du wohl Recht.“ Dann schob er sie unmerklich sanft wieder von sich. „Gut, dann lasst uns aufbrechen. Es scheint ein weiter Weg zu sein.“ Und die Erde erzitterte. „Was zu…?“, setzten alle drei gleichzeitig an. Dann riss es erst Ben von den Füßen, Lea wurde auch vom Beben umgeworfen. Skye hingegen schien mühelos das Gleichgewicht halten zu können, indem sie mit geschickten Körperbewegungen ausglich. Die Blätter rauschten, als würden die Bäume jeden Moment umfallen. Instinktiv schützten die Jäger ihren Kopf mit den Händen. Das ohnehin abrissreife Tor stürzte nun vollends in sich zusammen, von Wachmännern kam ein erschöpftes Stöhnen. Es folgte ein seltsam sphärisches Brüllen, wie aus einer anderen Welt. Zweifellos das Gebrüll eines Monsters, aber was konnte das für ein Tier sein? „B-bubi?“, keuchte Ben, als er sich gerade zur Seite warf, um einem dicken Ast auszuweichen. „Nein.“ Skye sprang leichtfüßig zu Lea, um ihr aufzuhelfen, aber die stieß ihre Hand weg. „Danke, ich schaff das scho…“ Sie brach mitten im Satz ab, da sie zwischen den Baumstämmen in einiger Entfernung etwas ausmachen konnte. Ihre Augen weiteten sich. Skye folgte ihrem Blick. Ungefähr achtzig Meter knickte es die Bäume um wie Anfängerwaffen auf dem harten Panzer einer starken Wyvern. Im rhythmischen Krachen zerbarsten die Stämme, die Holzsplitter zerstoben in Mehl und versperrten die Sicht. Aber ein moosgrüner Tentakel, der sich unkontrolliert um weitere Bäume schlang um Halt zu suchen schlängelte sich aus dem Nebel hervor und sorgte für einen Schock bei Ben und Lea. „Nicht dieses Vieh!“, riefen beide entsetzt. Skye ging einige Schritte nach vorne, ohne umzufallen. Ben versuchte sich aufzurichten, er konnte sich nicht halten, das Beben war einfach zu stark. „Wir müssen hier weg!“, stöhnte er verzweifelt, obwohl er wusste, dass er erst einmal nirgendwohin gehen konnte. „Wovor habt ihr Angst?“, fragte Skye ruhig. Wovor? Vor den umher wirbelnden Zweigen und Ästen etwa, oder dem Monster, das sie töten konnte? Vielleicht von umfallenden Bäumen oder einstürzenden Palisaden? Das grüne Wesen rauschte über den Boden, brach alle Bäume in Reichweite entzwei, wurde aber immer langsamer. Eine Nasenlänge vor Skye kam es zum Stehen. Die Geschwindigkeit reichte nicht mehr aus, um irgendwelche Stämme in der Nähe der Jäger zum Sturz zu bringen. Sie waren sicher. Das Beben hörte auf. Lea und Ben standen langsam auf, und beäugten die Kreatur misstrauisch, aber diese rührte sich nicht. Skye musterte sie. Ihr Interesse galt besonders einem Tentakel, der ihr am nächsten war. Unent-schlossen trat sie einmal dagegen. Die Konsistenz war weniger fest als vermutet. Mit einem widerli-chen Gurgeln sank Skyes Fuß eine halbe Armlänge in die Haut ein und federte dann zurück. Keine Reaktion seitens des Monsters. „Tot“, entschied Lea. „Es hat zufiel Blut verloren. Vermutlich ist es die ganze Zeit über geflogen.“ „O ja, es hat eine Menge Blut verloren!“, pflichtete ihr Lea bei. „Aber ist es wirklich tot?“ „Mausetot. Kaidara wird sich um den Kadaver kümmern. Ich tippe mal, keiner von uns hat eine Quest mit diesem Gegner als Ziel, daher hat niemand von uns Anspruch auf Belohnung. Von daher: Lasst uns endlich aufbrechen?“ „Eine gute Idee. Hier werden wir nur eingestunken!“ Ben richtete sich auf und nickte eifrig. „Pff“, machte Lea unmerklich, schritt aber trotzdem als erste voran. „Lasst uns diese Wälder endlich hinter uns bringen!“ Die anderen folgten ihr auf den Fuß.
Es war ein Massaker gewesen. Weniger als drei Minuten hatten sie für ungefähr fünfzehn bis zwanzig Iopreys und dem Iodrome gebraucht. Die Kadaver verrotteten schon in der Asche des Vulkansteins weit hinter ihnen. Nach einem guten Stück Weg, dass sie ebenfalls überwunden hatten, schwand nun der letzte Fleck freier Himmel über ihnen dahin. Sie befanden sich im Vulkangewölbe, dessen einziges Licht von der Glut und dem Magma hier und dort aus dem hervor schien. So isolierend die Rüstungen von Milly und Will auch waren, so brüllend heiß waren die Stellen, die nicht davon zugedeckt waren. Besonders die Gesichter. Unablässig schwitzten beide und stöhnten. Warum hatten sie ihre Helme nicht dabei? Weil sie nicht damit gerechnet hatten zu kämpfen? Dann hätte der Rest der Rüstungen auch keinen Sinn gemacht. Wahrscheinlich einfach aus Bequemlichkeitsgründen. Ein größeres Sichtfeld, bessere Beweglichkeit… Und jetzt bereuten sie es. Aber was half es, sich zu beschweren? Nichts. Die Helme wurden jetzt nicht herbeigezaubert. Mühsam durchwanderten sie also die Höhlen, bis sie schließlich am Ziel ankamen. „Dort oben, Mill. Siehst du?“ Will deutete auf ein orangenes Leuchten, welches flackernd von den Felswänden der riesigen Vulkanhöhle reflektiert wurde. Dies war der letzte Raum, in welche das Gewölbe des Vulkans gegliedert war. Tief aus dem Boden, aus dem Untergrund scheinbar, strahlte das heißeste des Magmas sein glühendes Licht aus. Wie aus einem endlos tiefen Loch, angefüllt mit zähflüssigem Feuer. Der Krater. Das musste es sein. Wer traute sich schon hier zu suchen? Hier lauerte der Tod nicht nur in der Ge-fahr bei lebendigem Leibe zu verbrennen oder giftige Gase zu atmen, sondern auch an Ascheausstößen aus Ritzen im Boden zu ersticken, oder von hinterhältigen Iopreys angegriffen zu werden. Oder größeren Tieren, wie beispielsweise der Felswyvern Gravios, mit einem Panzer komplett aus Stein, oder auch ihre Jungen, die Basarios. Will und Milly hatten damit keine Probleme. Nichts würde sie jetzt noch aufhalten. „Na gut. Jetzt sind wir am Krater. Aber wo kann der letzte Hinweis sein?“ Milly blickte sich unschlüs-sig um, sichte die Wände nach Anzeichen ab, nach irgendetwas Ungewöhnlichem, einfach irgendetwas. „Ich weiß es nicht Mill. Wir müssen eben suchen. Wir suchen einfach dort, wo niemand suchen würde. Ich werde zum Beispiel die Innenwände des Kraters in Augenschein nehmen.“ „Bist du verrückt?“ „Ganz genau. Nur deshalb habe ich diese verrückte Suche noch nicht aufgegeben. Weil ich auch verrückt bin.“ Milly sah ihn besorgt an. Sie wusste, sie würde ihn nicht von dem Plan abbringen können. „Verbrenn dich nicht.“ Will wäre ihr jetzt gerne sanft mit der Hand über die Wange gestrichen, aber die Rüstung war außen so heiß geworden, dass sie sich verbrannt hätte. Stattdessen umarmte er sie. Rüstung an Rüstung, das machte nichts aus. „Ich pass schon auf. Und wenn ich‘s nicht schaffe, bleiben mehr Waffen für dich übrig.“ Er grinste. Und Mill konnte nicht sagen, ob das ernst gemeint, oder ein Spaß gewesen war. „Such einfach nach dem Hinweis!“, gab sie zurück. „Baby ich trenne mich nur ungern von dir“, setzte Will jetzt an, ließ von Milly ab und zog sein Groß-schwert, „aber du bist eine Last, die ich nicht länger tragen kann.“ Damit warf er seine Waffe auf den Boden, streckte sich einmal kurz und ging dann zum Rand des Kraters. „Verdammt heiß. Ich sollte mich beeilen!“ Er verschwand hinter dem Rand. Milly sah ihm nicht nach, sie musste jetzt darauf vertrauen, dass Will keine Dummheiten anstellte. Viel lieber sollte sie selbst suchen. Systematisch erstellte sie in Gedanken ein Raster der kompletten Kammer und begann jeden Sektor gewissenhaft abzusuchen. Sie drehte jeden einzelnen Stein um, grub an verdächtigen Stellen sogar mehrere Dezimeter tief, suchte nach Spuren von Wyvern, welche Stellen sie mieden, wo sie besonders gerne verweilten, einfach alles wurde mit einbezogen. Sie würde die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag brauchen, bis sie fertig war, oder den Hinweis in den Händen hielt. Und Will besah sich des Kraters. Wenn es an den Innenwänden eine verborgene Höhle gab, einen losen Stein, was auch immer: Er würde diese Stelle finden.